Michail Gorbatschow in der Popkultur
1. September 2022Der verstorbene Michail Gorbatschow war ein nahbarer Politiker, auch das machte ihn - neben seiner historischen Rolle für die Wende - beliebt und bekannt: ein für russische Politiker bis heute eher unübliches Muster.
Zu seinem 80. Geburtstag wurde 2011 in der Royal Albert Hall in London ein rauschendes Fest gegeben. Filmstars wie Kevin Spacey und Sharon Stone führten durch den von Gorbatschows Tochter organisierten Abend. Die Ehre gaben sich auch der Musiker Bryan Ferry, Ex-Schauspieler und Ex-US-Gouverneur Arnold Schwarzenegger oder die in Kiew geborene Schauspielerin Milla Jovovich. Während er im Osten umstritten war, hatte der einzige und letzte Präsident der UdSSR im Westen fast eine Art Popstar-Status.
Ein Friedensnobelpreisträger mit Grammy
Ein Popstar war Michail Gorbatschow in Wahrheit nicht, auch wenn er für die Sprachaufnahme von Prokofievs "Peter und der Wolf" 2005 einen Grammy bekam - zusammen mit den ebenfalls Beteiligten Bill Clinton und Sophia Loren.
Nach seiner aktiven Laufbahn als Politiker trat Gorbatschow - zum Befremden so mancher Beobachterinnen und Beobachter - als Werbeträger in Erscheinung. Sein Clip für die amerikanische Lebensmittelkette "Pizza Hut" schrieb Werbe-Geschichte und wurde weltweit ausgestrahlt - nur nicht in Russland.
Werbeeinnahmen für den guten Zweck
Nachdem klar war, dass es kein politisches Comeback in Russland geben würde, engagierte sich Gorbatschow für die ökologische Rettung der Erde und gründete die Umweltschutzorganisation "Internationales Grünes Kreuz". Das öffentliche Interesse ihm gegenüber galt aber mehr seiner Person und historischen Bedeutung als seinen Anliegen jenseits des politischen Parketts. So nutzte er seine Popularität für lukrative Werbeauftritte wie den für "Pizza Hut" 1997. "Ich hatte Finanzierungsprobleme mit meiner Stiftung, also machte ich eine Werbung für 'Pizza Hut'", erklärte Gorbatschow 2007 in einem Interview mit "France 24" rückblickend.
Regelmäßiger TV-Gast
Es blieb nicht die einzige werbliche Veranstaltung: In Mecklenburg-Vorpommern eröffnete Gorbatschow ein Heizkraftwerk, er warb für den Computerhersteller "Apple" und sammelte in dem bekannten deutschen Show-Format "Wetten dass...!" bei Thomas Gottschalk Geld für eine Leukämie-Stiftung, die den Namen seiner 1999 an Krebs verstorbenen Frau Raissa trägt.
Bei einer Kampagne für den französischen Modehersteller Louis Vuitton stand Gorbatschow 2007 erneut vor der Kamera, diesmal vor der von Annie Leibovitz: Während Catherine Deneuve im Kunstnebel posierte und Andre Agassi und Steffi Graf verliebt im Bett kuschelten, durfte Gorbatschow als Wegbereiter der deutschen Einheit noch einmal im Rücksitz einer Limousine an der Berliner Mauer entlang fahren; mit der Tasche des besagten Herstellers neben sich.
Doch dann schauten einige genauer hin: Wer in das Bild hineinzoomt, erkennt in der Tasche ein Cover des Magazins "New Times", einer liberalen putinkritischen Wochenzeitschrift. Auf Russisch ist die Titel-Schlagzeile vom 28. Mai 2007 zu lesen: "Litvinenkos Mörder: Verdächtiger sollte für 7000 Dollar frei kommen"
Verweis auf spektakulären Mordfall
Der Titel verweist auf den Fall Alexander Litwinenko, einen prominenten Putinkritiker, der vergiftet worden war. Kurz vor seinem Tod beschuldigte er Wladimir Putin, für seine Ermordung verantwortlich gewesen zu sein. Der oben erwähnte Verdächtigte war Andrei Lugowoi, der von den britischen Behörden gesucht wurde. Russland weigerte sich, ihn auszuliefern. Heute ist Lugowoi Duma-Abgeordneter und als Geschäftsmann auf dem Gebiet privater Sicherheitsdienste international tätig.
Nachdem der Titel bekannt wurde, begannen die Spekulationen im Netz: Enthielt die Werbung einen versteckten Kommentar? Schnell dementierten Louis Vuitton und die für die Werbung beauftragte Agentur, Ogilvy & Mather. Das Cover sei ganz zufällig gewählt worden, um der Szene mehr Authentizität zu verleihen.
Ein Platz in den Geschichtsbüchern - auch des Punkrocks und des Films
Verewigt wurde Michail Gorbatschow nicht zuletzt in einem Rap der deutschen Punkerin Nina Hagen, die 1989 mahnend reimte:
"Michail, Michail (...)
Bleibe klug und bleibe schlau
Bleibe Kind und sei ein Mann
und sei tapfer wie 'ne Frau
Sonst gabs Kanonen statt Butter - jetzt jibt et Freiheit statt Butter"
Gerade die Deutschen pflegten nach der Wende ein herzliches Verhältnis zu "Gorbi". Der deutsche Filmemacher Werner Herzog hat ihn mit dem Dokumentarfilm "Meeting Gorbachev" 2018 gewürdigt. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte Gorbatschow schon mit gesundheitlichen Problemen. Trotzdem war ihm glasklar, was da gerade in seinem Land vor sich ging: wie das zunehmend autoritäre Regime Putins die demokratischen Reformen in Russland hinwegfegte, die Gorbatschow hatte verankern wollen.
Diese Melancholie wird in einem Dialog des Films spürbar. Herzog fragt ihn: "Ich würde gerne wissen, was Sie sich als Inschrift auf Ihrem Grabstein wünschen?" Gorbatschow hält einen Moment inne, dann antwortet er: "Wir haben es versucht."