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Menschenrechtler werfen Israel Misshandlung Gefangener vor

11. August 2024

Israel soll Tausende Palästinenser aus Gaza ohne Haftbefehl eingesperrt haben. Freigelassene berichten von Folter, Vergewaltigung und wochenlanger Misshandlung. Auch die UN erheben Vorwürfe, Israel weist sie zurück.

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Palästinensische Gebiete Deir el-Balah | Entlassene Gefangene
Bild: Bashar Taleb/AFP

Misshandlungen, Folter und Vergewaltigung - all das widerfahre Palästinensern in israelischen Haftanstalten und Gefängnissen, berichten die Vereinten Nationen (UN) und diverse Menschenrechtsorganisationen - palästinensische und israelische.

Im Zentrum der Vorwürfe steht der Militärstützpunkt Sde Teiman im Süden Israels. Dort hatte das Militär nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober eine Haftanstalt für verdächtige militante Palästinenser eingerichtet. Dabei hatten die Angreifer fast 1200 Menschen getötet und mehr als 240 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Vor kurzem stand Sde Teiman erneut in die Schlagzeilen: Dutzende israelische rechte Ultranationalisten, darunter Knesset-Abgeordnete, hatten den Militärstützpunkt und später das Militärgericht in Beit Lid gestürmt. Sie protestierten gegen die Festnahme von neun Reservisten der israelischen Armee (IDF, deutsche Bedeutung: "Israelische Verteidigungskräfte"), denen vorgeworfen wird, einen palästinensischen Häftling in Sde Teiman vergewaltigt und so schwer misshandelt zu haben, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Demonstranten mit Israel-Flagge vor einem Zaun des Militärstützpunktes Sde Teiman nahe Beersheba
Rechtsextreme israelische Ultranationalisten haben zwei Militäreinrichtungen aus Solidarität mit neun IDF-Reservisten gestürmt, die von der Militärpolizei zum Verhör festgenommen wurdenBild: Amir Cohen/REUTERS

Es entbrannte eine Debatte über das Vorgehen der Demonstranten. Während der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu zur Ruhe aufrief, unterstützten andere Politiker das Verhalten und forderten Immunität für die festgenommenen Reservisten.

Der Vorfall rückte aber auch die Berichte über die Zustände in israelischen Gefängnissen wieder in den Vordergrund. Diese Woche veröffentlichte der israelische Fernsehsender Channel 12 ein Video, das offenbar die Vergewaltigung eines Gefangenen zeigt.

"Sde Teiman ist wie ein schwarzes Loch"

Erstmals schlugen Whistleblower im Dezember 2023 Alarm - zumeist israelische Ärzte, die in Sde Teiman arbeiteten: "Ihre Augen waren die ganze Zeit verbunden. 24 Stunden lang, Wochen lang, Monate lang. Ihre Hände waren die ganze Zeit auf dem Rücken gefesselt", sagte Naji Abbas, Leiter der Abteilung für Gefangene und Häftlinge bei Physicians for Human Rights Israel (PHRI). Seither hat die israelische Hilfsorganisation mehrere Berichte über Misshandlungsvorwürfe veröffentlicht.

"Wochen- oder gar monatelang war Sde Teiman wie ein schwarzes Loch. Niemand wusste etwas über diesen Ort", sagte Abbas im Gespräch mit der DW. Nach den Angriffen vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen wurden palästinensische Gefangene ohne Anklage, ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Rechtsbeistand in Sde Teiman festgehalten. Viele wurden später nach Gaza zurückgebracht, offenbar konnte bei ihnen keine Verbindung zu Hamas oder anderen militanten Gruppen festgestellt werden. Die militant-islamistische Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 regiert, wird von der EU, den USA und anderen als terroristische Organisation eingestuft.

Israel erlaubt Inhaftierung für 90 Tage ohne Anwalt

Berichten zufolge wurden viele von ihnen an Kontrollpunkten aufgegriffen, die das israelische Militär eingerichtet hatte, als Menschen scharenweise vor den schweren Bombardierungen durch die israelische Luftwaffe aus dem nördlichen Gazastreifen fliehen mussten. Nach Angaben des Hamas-geführten Gesundheitsministeriums haben die IDF während ihrer seit Oktober laufenden Gegenoffensive im Gazastreifen mehr als 39.600 Palästinenser getötet.

UN-Gericht befasst sich mit Israels Siedlungspolitik

Inhaftiert werden die Festgenommen auf der Grundlage des Gesetzes über "ungesetzliche Kombattanten". Es erlaubt dem israelischen Militär, mutmaßliche Kämpfer zu verhaften und sie 90 Tage lang ohne Zugang zu einem Anwalt festzuhalten. In den meisten Fällen gibt Israel keine Auskunft über den Verbleib der Festgenommenen, so dass die Familienangehörigen nichts über das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen erfahren.

Die Nichtregierungsorganisation Hamoked schätzt auf Grundlage von Zahlen des israelischen Gefängnisdienstes, dass derzeit 1.584 Palästinenser als "ungesetzliche Kämpfer" eingestuft und festgehalten werden.

Israelische Armee weist Vorwürfe "systematischer Misshandlungen" zurück

Israelische Menschenrechtsorganisationen hatten in den vergangenen Monaten mehrere Petitionen beim Obersten Gerichtshof Israels eingereicht, um Informationen über die Inhaftierten zu erhalten und die Schließung von Sde Teiman zu erreichen. Inzwischen hat das Gericht den Staat aufgefordert, die Gefangenen in andere Haftanstalten zu verlegen. Medienberichten zufolge ist dies teilweise geschehen, mindestens 28 Gefangene befinden sich demnach aber noch in Sde Teiman.

Als Reaktion auf eine Recherche der "New York Times" über angebliche Misshandlungen in Sde Teiman erklärten die IDF im Mai, dass sie "die Behauptungen über systematische Misshandlungen" in Sde Teiman vollständig zurückweisen. Die nach dem 7. Oktober errichteten militärischen Haftzentren würden im Einklang mit dem Völkerrecht betrieben, konkrete Vorwürfe würden untersucht.

"Handfesseln und verbundene Augen"

Mehrere ehemalige Gefangene haben sich über die Haftbedingungen geäußert, und ihre Aussagen passen zu den Berichten der Ärzte. Jamal Dukhan, 57, erzählt am Telefon aus Gaza, er sei im Mai dieses Jahres vom israelischen Militär in Jabalia in Gaza festgenommen, verhört und geschlagen worden. Dann sei er mit anderen Männern aus dem Flüchtlingslager Jabalia zu einem Militärgelände, höchstwahrscheinlich Sde Teiman, gebracht worden: "Auf dem Weg zum Gefängnis wurde ich getreten und geschlagen, die Soldaten beschimpften mich auf Arabisch und Hebräisch."

"Während der gesamten Haftzeit waren meine Hände gefesselt und meine Augen verbunden", sagt Dukhan, sogar beim Essen. Die Gefangenen hätten nicht miteinander sprechen dürfen, so Dukhan. Um eine der zwei Toiletten zu benutzen, hätten sie sich vorher namentlich registrieren müssen.

Israel und die Araber: eine Geschichte von Hass und Gewalt?

Während seiner Gefangenschaft, sagt er, sei er vor allem über seine Nachbarn befragt worden, und ob sie der Hamas oder anderen militanten Gruppen angehörten. "Für Verhöre durch den Geheimdienst gibt es einen Raum, in dem man schläft und der rund um die Uhr mit einem lauten und störenden Ton beschallt wird", erklärte er. Nach etwa einem Monat sei er ohne Anklage freigelassen und nach Gaza zurückgebracht worden.

Missbrauchsvorwürfe auch im Gefängnissystem

"Menschen zwei Wochen lang die Hände zu fesseln, das ist Folter", sagt Naji Abbas von der NGO Physicians for Human Rights Israel. Gliedmaßen hätten infolge von Infektionen amputiert werden müssen. Nach einer Richtlinie des Gesundheitsministeriums, die Physicians for Human Rights vorliege, sollten Gefangene selbst bei medizinischen Behandlungen gefesselt bleiben, sagt Abbas.

In einem Bericht vom 31. Juli fasst das UN-Menschenrechtsbüro Aussagen von Gefangenen zusammen, die berichten, sie seien in "käfigartigen Einrichtungen über lange Zeiträume nackt und nur mit Windeln bekleidet" festgehalten worden. Ihnen sei "Nahrung, Schlaf und Wasser vorenthalten worden" und sie seien "mit Elektroschocks traktiert und mit Zigaretten verbrannt" worden. Einige Häftlinge berichteten, dass Hunde auf sie losgelassen wurden, andere, dass sie dem Waterboarding unterzogen worden seien.

Laut Menschenrechtsorganisationen betreffen die Misshandlungsvorwürfe nicht nur die Militärgefängnisse. Dem Bericht "Willkommen in der Hölle" von B'Tselem ist zu entnehmen, dass Misshandlungen zur Normalität im israelischen Gefängnissystem geworden seien. Die israelische Menschenrechtsgruppe sammelte Aussagen von 55 Palästinensern, die in israelischen Gefängnissen inhaftiert und später - fast alle ohne Anklage - freigelassen wurden. B'Tselem erkennt darin eine "systemische, institutionelle Politik", die unter dem rechtsextremen Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir eingeführt worden sei. 

Israelische Strafvollzugsbehörde weist Vorwürfe zurück

Die israelische Strafvollzugsbehörde (IPS) wies die Vorwürfe von B'Tselem in einer Erklärung an die DW zurück und betonte, dass sie "gemäß den gesetzlichen Bestimmungen und unter der Aufsicht des staatlichen Rechnungsprüfers" arbeite.

Israel, Tel Aviv | Großdemonstration mit Israel-Flaggen, ein Schild "Bring them home" (Bringt sie nach Hause) ist zu lesen
An diesem Samstag haben abermals Menschen in Israel gefordert, israelische Geiseln gegen palästinensische Gefangene zu tauschenBild: Mostafa Alkharouf/Anadolu/picture alliance

"Alle erforderlichen Grundrechte werden von professionell ausgebildeten Gefängniswärtern in vollem Umfang eingehalten", hieß es in der Erklärung. "Uns sind die geschilderten Vorwürfe nicht bekannt, und soweit uns bekannt ist, hat es unter der Verantwortung der IPS keine derartigen Vorfälle gegeben. Nichtsdestotrotz haben Gefangene und Häftlinge das Recht, eine Beschwerde einzureichen, die von den offiziellen Behörden umfassend geprüft und bearbeitet wird." Allerdings heißt es in der Erklärung auch, dass seit dem 7. Oktober 2023 auf Anweisung von Minister Ben Gvir die Haftbedingungen zu verschärfen und in der Vergangenheit eingeführte Verbesserungen zu beenden seien.

Am Dienstag hatte das Militär erklärt, dass die des Missbrauchs verdächtigten IDF-Reservisten zumindest bis zu diesem Sonntag in Haft bleiben werden, um "weitere Ermittlungen durchführen zu können". Es seien Beweise hinzugekommen, die den Verdacht gegen die fünf Soldaten erhärtet hätten. Nun soll die Haft abermals verlängert werden. 

Der verletzte Gefangene ist laut Medienberichten inzwischen wieder in das Gefängnis Sde Teiman gebracht worden.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin