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Extraterritoriale Staatenpflichten

Michael Windfuhr24. August 2012

Die Würde des Menschen ist unantastbar - was aber, wenn sie doch angetastet wird? Wenn durch Weltmarktbedingungen die Armut wächst und ausbeuterische Arbeitsbedingungen zunehmen?

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Ein Globalisierungsgegner demonstriert am 9.9.2003 in Jakarta gegen das bevorstehende WTO-Treffen in Cancun. Unter starken Sicherheitsvorkehrungen beginnt am 10.9. im mexikanischen Cancun die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO. 3500 Polizisten sind zum Schutz der etwa 7000 Delegierten aufgeboten. Bei der Konferenz geht es vor allem um den Abbau von Subventionen für die Landwirtschaft und von Zöllen für Agrarprodukte.
Bildgalerie Ursachen von Armut: WelthandelBild: picture alliance/dpa

Menschenrechte sind als Schutz gegen einen übermächtigen Staat erkämpft und schließlich 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verabschiedet worden.

Menschenrechte schützen die Würde jeder einzelnen Person gegen einen übermächtigen Staat, der Menschen foltert, verhaftet, verschwinden lässt, sie diskriminiert wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, íhres Glaubens, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung , sie nicht arbeiten lässt, sie beim Zugang zu Land oder Krediten schlechter stellt, weil sie dem falschen Geschlecht oder der falschen Bevölkerungsgruppe angehören.

Eleanor Roosevelt mit einem Textplakat der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf spanisch (Foto: Franklin D. Roosevelt Library Webseite)
1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedetBild: Franklin D Roosevelt Library website

Die bürgerlichen und politischen, wie auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte begründen Ansprüche aller Menschen auf eine selbstbestimmte Lebensgestaltung, frei von Unterdrückung und Grausamkeiten, sozialer Not und Willkür, Ausgrenzung und Ausbeutung. Staaten und die internationale Gemeinschaft haben die Verpflichtung, alle Menschenrechte zu achten, zu schützen, und sicherzustellen. Dass heißt auch, darauf zu achten, dass private Unternehmen oder andere nicht-staatliche Akteure diese Rechte nicht verletzen. Unter Einsatz aller verfügbaren Ressourcen sind sie darüber hinaus verpflichtet, die Rechte vor allem für besonders benachteiligte Gruppen zu garantieren. In Zeiten der Globalisierung gibt es inzwischen aber eine wachsende Zahl von Situationen, in denen genau das nicht mehr gelingt.

 

Ein junges Mädchen durchsucht in Chitungwiza, Simbabwe, den Müll nach Nahrungsmitteln (Foto: dpa)
Not in Zeiten der GlobalisierungBild: picture-alliance/ dpa

Marginalisierung durch internationale Verträge

Staaten können beispielsweise durch internationale Verträge daran gehindert werden, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um ein Recht umzusetzen. Bekannt wurde dies durch die Frage, inwieweit Staaten den Patentschutz von HIV-Aids Medikamenten umgehen können und eine Lizenz zur Produktion kostengünstiger Generika vergeben können.

Staaten können auch von internationalen Organisationen daran gehindert werden, menschenrechtlich gebotene Politikmaßnahmen zu ergreifen. So wurden beispielsweise verschuldete Entwicklungsländer über Jahre von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds dahingehend beraten, staatliche Infrastruktur für ländliche Entwicklung aus Kostengründen abzubauen und Märkte für Nahrungsmittelimporte zu öffnen. Oftmals hing die Genehmigung eines Kredits sogar davon ab. Die Folge: Kleinbauernfamilien können oftmals ihre Einkommen immer weniger sichern.

Investoren haben Vorrang

Bei Entscheidungen für Direktinvestitionen sitzen die privaten Unternehmen oft am längeren Hebel: Investiert wird nur, wenn die Standards "investorenfreundlich" gestaltet werden. In der Praxis kann das bedeuten: Arbeitnehmerrechte oder der Schutz vor Zwangsumsiedlungen bleiben auf der Strecke. Für Bergbauunternehmen müssen - vor allem beim Tagebergbau - oft Tausende von Familien umgesiedelt werden. Dies geschieht meist ohne ausreichende Entschädigung oder gleichwertiges Ersatzland.

Unfaire und gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen können von Gewerkschaften und Betroffenen meist nicht entscheidend verbessert werden, weil international tätige Unternehmen vor nationalen Gerichten nur selten zur Rechenschaft gezogen werden können. Oftmals sind lokale oder regionale Regierungen und Überwachungsstellen auch durch Korruption beeinflusst und verfolgen Missbrauch in den Unternehmen oder in den Bergbauminen nicht entsprechend.

Falsche Subventionen

Auch staatliche Steuerungsmaßnahmen für die eigene Bevölkerung im eigenen Land können Auswirkungen auf die Menschenrechte in einem anderen Kontinent haben. Wie sehr europäische Agrarsubventionen oder europäische Fischereipolitik die Märkte, die Arbeits- und Lebensbedingungen zum Beispiel in Westafrika beeinflusst haben, wurde von mehreren NGOs in den vergangen Jahren deutlich gemacht. Billige, weil subventionierte europäische Hühnchenimporte oder die Überfischung der Küsten durch europäische Flotten haben unmittelbar zu wachsender Armut und Hunger in bestimmten Bevölkerungsgruppen beigetragen. Hier liegt also eine Verletzung des Rechts auf Nahrung vor, die durch die Regierungen der Länder in Westafrika aber kaum beeinflusst werden konnte.

Hungernde Kinder im Slum von Cite Soleil, Haiti (Foto: AP)
Recht auf Nahrung? Hungernde Kinder in HaitiBild: AP

Beute im schwachen Staat

Besonders problematisch kann die Situation für Menschen werden, wenn ihre nationale Regierung kaum noch funktioniert. Ist sie zu schwach, um internationale Einflüsse zu kontrollieren oder zu steuern, bleibt die Würde der Menschen auf der Strecke. Insbesondere in Bürgerkriegsländern oder in sogenannten "gescheiterten Staaten" liegt die Verantwortung für Standards in Bergbaubetrieben oder auf Plantagen der Exportwirtschaft vor allem bei den Unternehmen, die sich hier wirtschaftlich engagieren. Sie lassen ihre Operationen oft durch private Sicherheitskräfte bewachen.

Beispiel Kongo: Wichtige Edelmetalle werden unter menschenverachtenden Bedingungen abgebaut. In einer durch Korruption beeinflussten Zulieferkette kommen die Teile nach Europa und werden zum Beispiel in Mobilfunktelefone eingebaut. All das ist eine schwere Hypothek für die Verwirklichung der Menschenrechte in dem afrikanischen Land.

Globalisierung nur für Starke

Die Beispiele machen deutlich: Im Zeitalter der Globalisierung öffnet sich im Menschenrechtsschutz eine Lücke. Sie ließe sich schließen, wenn es völkerrechtlich gelingen würde, die Akteure zur Rechenschaft zu ziehen: Regierungen, die für derartige Menschenrechtsverletzungen im Ausland verantwortlich sind, global agierende Privatakteure und internationale Organisationen. Das ist bislang nicht der Fall, so dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen ihr Recht überwiegend nicht einklagen und auch keine Entschädigung durchsetzen können.

Streikende Textilarbeiter in Phnom Penh, Kambodscha (Archivbild: AP)
Rechte öffentlich machen: Textilarbeiter streiken in KambodschaBild: AP

In allen Teilen der Welt haben Menschenrechtsaktivisten, Politiker und Wissenschaftler inzwischen begonnen, die Achtung und den Schutz der Menschenrechte auch von privaten Akteuren in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich einzufordern. Nichtregierungsorganisationen machen durch Kampagnenarbeit immer wieder Fälle öffentlich und dokumentieren sie. Dieses "naming and shaming" hat in vielen Wirtschaftsbereichen transnationale Akteure dazu veranlasst, sich freiwillige Verhaltensstandards zu setzen, sei es im Textilbereich oder in der Spielzeugindustrie. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, hat bereits im Jahr 2000 durch die Schaffung des "Global Compact" versucht, auf die Bedeutung der Menschenrechte für Wirtschaftsakteure hinzuweisen.

Erinnerung: Extraterritoriale Staatenpflichten

Dennoch: die Achtung, der Schutz und die Gewährleistung von Menschenrechten hängen nach wie vor davon ab, dass NGOs, mutige Anwälte und Menschenrechtsverteidiger Missstände aufdecken und öffentlich machen. Das kann keine Lösung sein. Genauso wenig akzeptabel ist es, die Durchsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte von freiwilligen Instrumenten abhängig zu machen.

Michael Windfuhr (Foto: DIMR)
Michael WindfuhrBild: Institut für Menschenrechte

Um solche globalisierungsbedingten Lücken im Menschenrechtsschutz zu schließen, stehen die sogenannten Extraterritorialen Staatenpflichten zunehmend auf der Agenda: Alle Länder sind schließlich verpflichtet, ihr Verhalten auch im Handel und in internationalen Organisation wie der Weltbank an den Menschenrechten auszurichten. Völkerrechtlicher an der Universität Maastricht, in den Niederlanden, haben Prinzipien der extraterritorialen Geltung von Menschenrechten für den Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte formuliert. Sie wollen damit völkerrechtliche Antworten auf die Herausforderung der Globalisierung geben.

Michael Windfuhr ist stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) in Berlin.