Die Murmeln sind gefallen: In Gambias weltweit einzigartigem Wahlsystem steckt man statt Stimmzetteln Glaskugeln in die verschiedenfarbigen Fässer der Bewerber. Über ein Röhrchen fallen die Kugeln in eine Tonne, lösen ein Glöckchen aus und alarmieren so die Wahlbeobachter über die erfolgte Abstimmung. Heimlich eingeschmuggelte Kugeln würden sofort auffallen, die Murmelmethode gilt als sicher.
Das System war 1965 eingeführt worden, um die vielen Analphabeten vor Verwechslungen und Manipulationen zu schützen. 2016 wurde mit ebendiesem Verfahren Diktator Yahya Jammeh 22 Jahre nach seinem Putsch aus dem Amt gemurmelt. Nach diesem historischen Wendepunkt in der Geschichte Gambias galt es nun, den ersten Demokratietest zu bestehen.
Ein Votum für Stabilität
Das Positive vorweg: Der gestürzte Diktator, der aus seinem Exil in Äquatorial-Guinea versuchte, die Strippen zu ziehen, ist nicht gestärkt worden. Der Wahlgang ist friedlich verlaufen und am Wahlsieg von Amtsinhaber Adama Barrow gibt es kaum etwas zu deuteln.
Gambias Elite macht sich lustig über ihn, er gilt als ungeschickt, nicht besonders gebildet oder gar prinzipienfest. Dennoch können sich offenbar große Teile der Bevölkerung, gerade wohl auch im ländlichen Raum, mit dem Aufsteiger aus der Unterschicht identifizieren. Für diese eher ungebildeten Wählerschichten verkörpert er offenbar die größte Stabilität. Als amtierender Präsident war er unter den sechs Kandidaten der bekannteste, auch seine gemischte ethnische Herkunft verspricht eher Ruhe als Veränderung.
Die Wählermehrheit hat ihm seine gebrochenen Versprechen durchgehen lassen: Er wollte 2017 als Kompromisskandidat nur ein Übergangspräsident sein. Eine neue Verfassung war sein erklärtes Ziel, außerdem eine Verwaltungs- und Gesetzesreform. Die Aufarbeitung der blutigen Jammeh-Diktatur durch die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC). Die Modernisierung der Wirtschaft und die Schaffung zehntausender Jobs für die Jugend, die es nach wie vor in Scharen auf gefährlichen Wegen nach Europa zieht.
Der unterschätzte Amtsinhaber
Das meiste davon ist Barrow schuldig geblieben. Seine Gegner, insbesondere sein früherer Vize Ousainou Darboe aber waren sich offenbar ein wenig zu sicher, dass sie die besseren Argumente haben. Sie haben ihn unterschätzt. Barrow hat es geschafft, mit seiner neugegründeten Partei "National People's Party" (NNP) eine Machtbasis zu etablieren. Er formierte zudem eine Allianz mit der ehemaligen Jammeh-Partei APRC - ein von außen betrachtet bizarrer Vorgang. Sein Wahlteam, sagen Beobachter vor Ort, arbeitete besser als die anderen. Und offenbar verfügte er auch über die größeren Reserven - für die beliebten kleinen Wählergeschenke.
Dass die Verlierer nun granteln, die in der Vergangenheit oft inkompetente Wahlkommission für ihre Niederlage verantwortlich machen, ist nachvollziehbar. Die Vorwürfe treffen aber vermutlich nicht den Kern. Wie oft in Transitionsphasen wählen Menschen das Vertraute, die Stabilität - alle Mängel inbegriffen.
Kann Barrow die zweite Chance nutzen?
Diese Mängel dürften Adama Barrows größte Bürde sein. Kann er seine großzügigen Wahlversprechen, zum Beispiel das einer allgemeinen Krankenversicherung, einlösen? Wird ihm in einem fragwürdigen Pakt mit der Partei der Täter die Aufarbeitung der Diktatur gelingen? Kann er endlich die versprochene neue Verfassung auf den Weg bringen, die demokratischen Institutionen stärken? Wird er die lebendige Medienlandschaft und beißende Kritik an seinem Amt und seiner Person aushalten? Vor allem aber: Wird er den Exodus der jungen Gambier stoppen und die Wirtschaft voranbringen können?
Die Chance dazu in seiner ersten Amtszeit hat er verspielt. Nun, wider Erwarten wiedergewählt, bekommt er eine zweite. Angesichts der Pandemie, die jeden noch so kleinen Fortschritt zunichte macht, muss bezweifelt werden, dass Adama Barrow sie nutzen kann. Aber die Gambier müssen ihrem Präsidenten diese zweite Chance gewähren. Denn am Sieg der Murmeln gibt es wenig zu zweifeln.