Er ist längst in einem Alter, das die meisten Päpste gar nicht erreichten. Papst Franziskus, seit März 2013 an der Spitze der katholischen Kirche, wird an diesem Freitag 85 Jahre alt. Und doch schmiedet er weiter Reisepläne, setzt auf einen Weg innerkirchlicher Reformsuche und Erneuerung, der Jahre dauert und wohl Jahrzehnte brauchen wird. Alles auf Aufbruch.
Aber was heißt das? Das überschattende Thema dieses Pontifikats bleibt die Aufarbeitung des weltumspannenden Skandals von sexueller Gewalt gegen Minderjährige durch Kleriker. Damit einher geht ein Verlust an Glaubwürdigkeit - ausgerechnet bei einer Institution, die auf Glauben und Vertrauen aufbaut. Schon früh hat Franziskus schonungslose Aufklärung angemahnt und versprochen, "null Toleranz". Aber nicht selten sind seine Worte größer als die folgenden Taten. Das gehört zu einem System, in dem der Papst als alleinige Nummer eins Ankläger und Richter sein kann und zugleich Kontrolleur, Vorbild, Vorgesetzter, Vertrauensperson ist. Und wohl auch geistlicher Insolvenzverwalter.
Gelegentlich subversiv
Eigentlich immer schon hat Franziskus Klerikalismus angeprangert, patriarchale Arroganz und Machtanmaßung. Sein Handeln wirkt gelegentlich wie eine Karikatur der vergehenden Kirche. Ein Papst ist, wenn die Kirche Glück hat, eine prophetische Gestalt. Aber dieser Papst könnte weit mehr sein als eine prophetische Gestalt. Bei zu vielen Reden des Franziskus denkt man: "Jetzt handelt er aber!" Und dann spürt man seine Intention: "Jetzt macht halt mal…" Das ist nicht genug. Das ist zu wenig.
Bei all dem steht Franziskus an der Spitze und inmitten eines Apparats, der krisendurchtränkt ist. Das gilt bis hin zu jener Kardinalsrunde, die irgendwann mal seinen Nachfolger wählen wird. Ein Blick auf die drei deutschen Kardinäle unter den derzeit 120 sagt da viel: Der eine, der Münchener Kardinal Marx (68), bot, ziemlich überraschend, dem Papst im Mai seinen Rücktritt an und wirkt seitdem angeschlagen. Der andere, Kardinal Woelki (65), ist in seinem Erzbistum Köln so umstritten, dass die Katholiken in Scharen weglaufen und ihm der Papst eine Auszeit verordnet hat. Und der dritte, Kardinal Müller (73), verliert sich in Verschwörungswirrnis US-amerikanischer Prägung, in Populismus, auch in Papsthass. In einem bestimmten Milieu gefällt man sich, das System wieder feudal zu reden und Grundrechtsfragen verächtlich zu machen.
Klar - Franziskus klingt in seinen Äußerungen anders, geradezu gegenteilig und gelegentlich subversiv. Er ermuntert Katholikinnen und Katholiken geradezu, an der Basis munter voranzugehen. Und er kann doch zugleich immer daran erinnern, die Kirche sei eben keine Demokratie.
Der alte Mann und das Mehr
Die starken Momente hat Franziskus in seiner direkten Zuwendung zu Menschen, gerade zu den Menschen am Rande. Er versucht ihnen, ein Gesicht und ihre Würde zu geben - Migranten, Geflüchteten, Heimatlosen, Obdachlosen, Ausgegrenzten, körperlich oder seelisch Versehrten. Diesem Mann, der immer und immer wieder die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" beklagt, scheint niemand gleichgültig zu sein. Das ist mehr als ein Protest gegen falsche Maßstäbe. Franziskus steht für ein anderes Bild von Kirche. Eines der geradezu ikonischen Bilder dieses Papstes bleibt sein Flehen gegen die weltweite Corona-Pandemie. Franziskus im März 2020 auf dem menschenleeren abendlichen Petersplatz - das war das Ringen des Beters mit seinem Gott, das war ein Bild des Hiob in seiner Not und Einsamkeit. Franziskus, der Seelsorger der Welt. Der alte Mann und das Mehr.
All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesem Papst die Zeit wegläuft. Sein Vorgänger Benedikt, inzwischen 94-jährig, zog sich mit 85 aufs Altenteil zurück. Und Franziskus? Im Sommer 2021 musste er sich plötzlich einer Operation unterziehen. Erst Wochen später erwähnte er, wie ernst es bei diesem Eingriff um ihn stand. Selbst das erzählte der Argentinier in seinem typischen Stil ernsthaft-heiteren Plauderns. Franziskus steht für ein großes, ein schwieriges, ein merkwürdiges Pontifikat in einer strukturell siechenden Kirche.