Der Abgang des Marcel Kittel
9. Mai 2019Keine Pressekonferenz, kein öffentlicher Auftritt, am Ende ist es eine simple Pressemitteilung, mit der Marcel Kittel das vorzeitige Aus seines Vertrages beim Team Katusha-Alpecin verkündet und sich in eine nicht definierte Auszeit seiner Karriere verabschiedet. "Auf meine Bitte hin haben das Team Katusha-Alpecin und ich in beiderseitigem Einverständnis entschieden, meinen aktuellen Vertrag vorzeitig zu beenden", zitiert das Schweizer Team den Starsprinter.
Auszeit vom Radsport
Es sei ein längerer Entscheidungsprozess gewesen, der ihn schließlich zu dem Schluss kommen ließ, dass es so nicht weiter gehe. "Ich habe mich entschieden, eine Pause einzulegen und mir Zeit für mich selbst zu nehmen, über meine Ziele nachzudenken und Pläne für meine Zukunft zu machen", erklärt Kittel und lässt durchblicken, dass er sich den Anforderungen des Profiradsports aktuell nicht gewachsen sieht. "In den letzten zwei Monaten hatte ich das Gefühl, völlig erschöpft zu sein." Deshalb fühle er sich aktuell nicht in der Lage zu trainieren oder Rennen auf dem höchsten Niveau zu fahren.
Der Thüringer ist ein Aushängeschild des deutschen Radsports und einer der erfolgreichsten Sprinter der Gegenwart. 14 Etappensiege bei der Tour de France (und damit mehr als jeder andere deutsche Radprofi), für die er auch in diesem Juli vorgesehen war, schmücken seine Palmarès, hinzukommen vier Giro-Etappen und ein Tageserfolg bei der Vuelta. Neben weiteren Etappensiegen bei kleineren Rundfahrten und fünf Siegen beim Scheldeprijs ist sein Weltmeistertitel im Mannschaftszeitfahren 2016 hervorzuheben. Nach einer enttäuschenden Saison 2018 begann sein Frühjahr eigentlich vielversprechend: mit einem Sieg bei der Trofeo Palma im Februar auf Mallorca. Doch dann fiel Kittel in ein Loch, aus dem er bis jetzt nicht herauskam.
Es hagelte Kritik, auch aus dem eigenen Team
Im Sprint verlor er das Hinterrad seiner Anfahrer, wurde häufig abgehängt, stieg vorzeitig aus. Nach mehreren Rückschlägen im Frühjahr hatte Kittel Ende März erklärt: "Ich weiß nicht, ob es ein mentales oder ein physisches Problem ist, vielleicht eine Kombination aus beidem." Und es hagelte Kritik, auch aus dem eigenen Team. Kittel sei aktuell "einfach nicht gut genug", sagte Sportdirektor Dirk Demol kürzlich, "so kann es nicht weitergehen." Kurz vor dem Start der Tour de Yorkshire Anfang des Monats hatte Kittel die Teilnahme an der Rundfahrt abgesagt. Damit setzte sich der Negativtrend aus dem Vorjahr fort, woraufhin seinem Team nun wohl der Geduldsfaden riss. "Mit großer Traurigkeit haben wir Marcels Bitte, das Team zu verlassen, aufgenommen", sagte Teamchef José Azevedo, der von einer "schwierigen Zeit" für Kittel spricht.
Schon länger gab es in der Radsportszene Spekulationen um Kittel. Mal war von Burnout die Rede, mal von Streitigkeiten mit seiner Mannschaft. Immer wieder hatten ihn Mitglieder von Katusha-Alpecin auch öffentlich angegangen, so auch Katusha-Alpecin-Sportdirektor Dimitri Konyschew: "Wir bezahlen ihm eine Menge, aber er ist nur an sich selbst interessiert", schimpfte der Russe in der französischen Zeitung "L'Equipe". Das war während der Tour de France 2018, die Kittel vorzeitig verlassen musste, weil er aus dem Zeitlimit flog. Burnout - diese mögliche Erklärung für Kittels Tief wies sein Manager Jörg Werner zurück: "Es ist keine einfache Situation für ihn, aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. Er braucht Zeit zum Überlegen. Ich hoffe, dass wir ihn als Fahrer wiedersehen werden."
Vage Comeback-Pläne
Abschließen will Kittel mit seiner Karriere noch nicht. Etwas vage erklärte der bald 31-Jährige: "Veränderungen führen dich zu neuen Wegen und Möglichkeiten. Ich habe das Vertrauen, dass ich letztlich neue Chancen und Herausforderungen finden werde", lässt sich Kittel in der Erklärung seines Teams zitieren. "Ich würde in der Zukunft gerne wieder Rennen fahren. Das ist die größte Herausforderung meiner Karriere, und ich nehme sie an."