Mandelas Fotograf: Jürgen Schadeberg
7. Oktober 2013"Wenn man 19 Jahre alt ist, dann braucht man das Abenteuer, dann muss man raus. Und ich hatte auch genug von Deutschland wegen des Krieges." Wenn Jürgen Schadeberg erzählt, warum er Deutschland in seiner Jugend verließ, klingt die Stimme des 82-Jährigen energisch.
Als ihn die Abenteuerlust packte, lag Deutschland in Trümmern. Der Zweite Weltkrieg hatte seine Heimatstadt Berlin verwüstet und Armut, Elend und Flüchtlinge zurückgelassen. "Im Kino habe ich gesehen, dass es anderes Leben gibt", sagt er. Zu dieser Zeit hatte Schadeberg seine Ausbildung in der Fotoabteilung der Deutschen Presseagentur bereits hinter sich. Mit seiner Leica im Gepäck bestieg er ein Schiff nach Kapstadt.
Schon im Zug von Kapstadt nach Johannesburg kam die erste Ernüchterung: Auf der Fahrt lernte er einen Mann kennen, der Deutsch sprach. Zunächst freute er sich, endlich konnte er nach der langen Schifffahrt wieder in seiner Muttersprache reden. Doch dann stellte sich heraus, wer sein Mitfahrer ist: "Das war ein extremer Rassist und Nazi. Sein Name war Dr. Johannes van Rensburg und er war der Kopf der Ossewabrandwag". Eine Organisation in Südafrika, die mit den deutschen Nationalsozialisten sympathisierte und den Krieg der Alliierten und der Südafrikanischen Union gegen Deutschland sabotierte.
Sein Mitfahrer schwärmte ihm von Hitler vor und davon, was die Apartheids-Regierung vorhabe, die seit kurzem an der Macht war. "Und dann war ich so erschrocken, dass ich erst mal in den Speisewagen ging und mir einen angetrunken hab'. Ich konnte das gar nicht verstehen", sagt Schadeberg und lacht. Ein bitterböses Lachen, denn im Nachhinein weiß er, dass dies nur ein Vorgeschmack auf das war, was noch kommen würde. Das, was er in Johannesburg kennenlernte, war ihm aus dem nationalsozialistischen Deutschland nicht fremd.
Das neue Land deprimierte und erstaunte ihn zugleich. Um Geld als Fotograf zu verdienen, bot Schadeberg dem "Drum"-Magazin seine Dienste an. Eine Lifestyle-Zeitschrift, die zum Sprachrohr der unterdrückten schwarzen Bevölkerungsmehrheit wurde. Schadeberg wurde Chef-Fotograf, Bild-Redakteur und künstlerischer Leiter, lichtete Jazz-Stars wie Miriam Makeba, Hugh Masekela und Kippie Moeketsi ab. Nebenbei etablierte er die dokumentarische Fotografie. "Fotografie war nur Zeitungsfotografie: Headshots, Handshakes, Leute, die Reden hielten. Es waren alles gestellte Bilder."
Mit seiner kleinen Leica fing Schadeberg das Leben ein - in den verrauchten Jazzkneipen, beim Friseur oder den Straßenmusikern im Johannesburger Stadtteil Sophiatown. Dass seine Arbeit als Weißer bei einem "schwarzen" Magazin nicht nur seine ehemaligen Kollegen skeptisch stimmte, erfuhr er, als er Anfang der 50er Jahre Filmstar und Jazzsängerin Dolly Rathebe für das Titelbild der Drum auf einer Halde fotografierte.
Schadeberg und Rathebe wurden beim Fotoshooting verhaftet, da sie verdächtigt wurden, gegen ein Gesetz, das sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen verbot, verstoßen zu haben. Schadeberg war empört. Aufgebracht ging er an die Öffentlichkeit. Eine Zeitung druckte die Geschichte. Danach wollte keiner seiner weißen Kollegen mehr mit ihm sprechen. Mit dem investigativen Drum-Journalisten Henry Nxumalo berichtete Schadeberg über die Apartheid: über menschenunwürdige Behandlung von Schwarzen auf den Burenfarmen, auf die Nxumalo sich als Arbeiter einschleuste, über den Abriss von Sophiatown, über die Arbeit des ANC, des Afrikanischen Nationalkongresses, der gegen das System und seine Rasse-Gesetze kämpfte.
Das erste Treffen mit Nelson Mandela
Als Präsidenten der ANC Youth League lernte Schadeberg Nelson Mandela kennen. "Er war an und für sich auch sehr zurückgezogen. Das fand ich interessant. In seiner Umgebung war eine bestimmte Atmosphäre, die war sehr entspannt. Er kontrollierte die Situation." Man traf sich oft wieder - zu Fototerminen, aber auch zum Reden. In einer alten Druckerei zum Beispiel, wo der ANC Flugblätter druckte. Dort war in einem alten Backofen eine Flasche Cognac versteckt - Schwarze durften per Gesetz keinen Alkohol besitzen oder trinken. Als politische Mission hat Schadeberg seine Arbeit damals nicht gesehen, sagt er heute - eher als menschliche. Die Arbeit von Nxumalo und Schadeberg wurde immer schwieriger.
"Unsere Leute, die für uns gearbeitet haben, kamen dann mal hier und da mit einem vollkommen zerschlagenen Gesicht an, weil die Polizei sie einfach zusammengeschlagen hat. Weil sie irgendwie, wie die Polizei sagte, zu 'frech' waren."
1957 wurde Nxumalo auf offener Straße erstochen. Da wusste Schadeberg, dass es Zeit ist, zu gehen. Die Polizei war hinter ihm her, die Unterdrückung im Land wurde immer unerträglicher: "Man sah, es geht nicht weiter, man hatte Hoffnung, dass es sich ändert, aber es änderte sich nicht, es wurde immer schlimmer." 1964 versteckte Schadeberg die Negative seiner Fotografien und verließ Südafrika.
Zurück nach Europa
Nelson Mandela wurde 1964 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die nächsten 26 Jahre verbrachte er zum größten Teil in seiner Zelle auf Robben Island. Schadeberg lebte und fotografierte in jenen Jahren in London, Deutschland, Spanien, New York und Frankreich, heiratete, arbeitete in Europa und Amerika für namhafte Magazine und lehrte in London und Hamburg Fotografie.
1985 zog es Schadeberg dann wieder zurück. Als Nelson Mandela 1990 aus der Haft entlassen wurde, feierte Schadeberg mit ihm Silvester. In dem eigens für Mandela in Soweto gebauten Haus kochte seine Frau Winnie für die Gäste. "Da haben wir dann zusammengesessen und uns über die 50er Jahre unterhalten." Die ersten Wahlen erlebte Schadeberg mit Aufregung: "Es haben sich manche Leute stundenlang in der Sonne angestellt, um zu wählen. Da standen dann die weiße Dame und das schwarze Dienstmädchen nebeneinander und haben sich das erste Mal in ihrem Leben frei miteinander unterhalten. Da war eine neue Atmosphäre da."
Der Friedensnobelpreisträger Mandela gewann 1994 mit dem ANC die Wahlen. Wenig später kehrte er an den Ort seiner Gefangenschaft zurück - in seine Zelle auf Robben Island. Jürgen Schadeberg war dabei. Das Foto, der Augenblick Zeitgeschichte, den Schadeberg auf seinem Foto festhielt, ging um die Welt.
In seinen Foto-Serien "Tales from Jozi" oder "Voices from the Land" hat Schadeberg die Armut und die Arbeitslosigkeit in Südafrika festgehalten. 2007 kehrte er nach Europa zurück und erhielt das Bundesverdienstkreuz.
In Südafrika erscheint bald ein weiterer Fotoband von ihm. Auf rund 300 Seiten blickt Jürgen Schadeberg dann auf "Six decades of southafrican history" zurück. Ob der 82-Jährige noch einmal nach Südafrika zurückkehren wird, weiß er nicht. Heute lebt er in Spanien, in der Nähe von Valencia. Die Menschen dort erinnern ihn an seine Zeit in Südafrika: Sie seien so freundlich und glücklich.