Madrid verbannt alte Autos aus der Innenstadt
17. Dezember 2018Sie ist "roja" (rot) - so beschimpft die konservative Opposition von Madrid gerne Manuela Carmena. 2015 hatten die Madrider die ehemalige Richterin und Kandidatin der linkspopulistischen Partei Podemos zur Bürgermeisterin gewählt. Ihr Slogan lautete: "Madrid soll wieder seinen Einwohnern gehören".
Carmena ist wenig glamourös. Sie verschwendet keine Zeit mit Interviews oder Empfängen. Aber die Kultur war ihr von Anfang an wichtig. Sie machte sich für Sponsoring und Fundraising in der Kultur stark. Mit Erfolg: Neben renommierten Museen gibt es in Madrid seit ihrem Amtsantritt fast täglich Gratis-Konzerte und Kunst-Veranstaltungen.
Daneben will sie die Einwohner nun zügig von Abgas und Lärm befreien. Seit Ende November trat eine Umweltzone namens "Madrid Central" in Kraft. Das bedeutet, in dem 472 Hektar großen Gebiet dürfen Autos nur noch sehr eingeschränkt fahren und parken. Freie Fahrt gibt es eigentlich nur noch für völlig emissionsfreie Fahrzeuge, wie etwa Elektro- oder gasbetriebene Autos. Ausnahmen gibt es nur für Bewohner, Behinderte und Rettungsfahrzeuge.
Außerdem sollen zusätzliche Bäume und Pflanzen Stickoxide "fressen". Mit diesem Projekt will die 74-jährige Carmena die Kommunalwahlen im kommenden Jahr erneut gewinnen.
Madrid leidet unter der hohen Luftverschmutzung
Was viele als radikal empfinden, ist genau genommen nur die Fortsetzung einer bereits eingeleiteten Politik ihrer Vorgänger und die konsequente Reaktion auf den Druck aus Brüssel. Madrid liegt unter Europas Städten mit der höchsten Luftverschmutzung auf Platz sieben.
Viele Spanier schwangen sich bisher nicht so gerne aufs Fahrrad und gingen praktisch nie weite Strecken zu Fuß. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich in Madrid vieles verändert: Es gibt jetzt Fahrradwege. Busse und Taxis wurden umgerüstet, damit sie weniger Abgase ausstoßen. Ohne Umweltplakette dürfen Autos in der Innenstadt gar nicht mehr fahren. Wer nicht Anwohner ist oder eine Ausnahmegenehmigung hat darf im Gebiet "Madrid Central" nur noch im Parkhaus parken.
Und es geht noch weiter: Um die Elektromobilität zu fördern, sollen noch im kommenden Jahr 20 neue Strom-Tankstellen mit 100 Prozent erneuerbarem Strom entstehen.
Mehr Geld durch Umwelt-Maßnahmen
Die Maßnahmen, die Bürgermeisterin Carmena durchgesetzt hat, verbessern nicht nur die Luftqualität, sie spülen auch Geld in die Kassen der Stadt, weil Parkraum teuer ist. Zudem entwickelt sich Madrid zu einem Testgebiet in Sachen "Sharing Economy". Das betrifft natürlich insbesondere die Mobilität: Anbieter wie Drivy, emove, e-taxis, e-Scooters und Mitfahr-Taxis boomen.
Madrid wurde gleichzeitig für junge Kreative immer attraktiver. Die Hauptstadt wurde zur Start-up-Metropole.
Direktinvestitionen in Madrid stiegen im ersten Quartal 2018 im Vergleich zum Vorjahr um ganze 82 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro. Damit entfielen 77 Prozent aller Direktinvestitionen in Spanien auf die Metropole. Die Stadt, regiert von einer "roja", schlägt zudem alle Touristenrekorde. Im ersten Halbjahr 2018 kamen fast fünf Millionen Besucher, fünf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Nicht jedem gefällt es
Die meisten Anwohner sind begeistert von den Veränderungen. "Die Stadt ist in jedem Fall attraktiver geworden", sagt die 50jährige Sonia Pérez, die sich bereits seit Jahren mit Fahrrad oder Scooter durch Madrid bewegt.
Es gibt aber auch Unzufriedene. Vor allem die Einzelhändler und die rund zwei Millionen Pendler hat Carmena mit dem Projekt "Madrid Central" verärgert. So wurde die bisher überfüllte Haupteinkaufsstraße in diesem Jahr mehrere Monate durch Umbauten blockiert. Das hat zu Einnahmeverlusten geführt, beklagt die Einzelhandels-Lobby "Asociación de Comerciantes de las Calles Preciados, Carmen, Arenal y Adyacentes (Apreca)"
"Die Vorabinformationen kamen nicht früh genug und waren konfus, daher sind viele Menschen aus anderen Städten am ersten Adventswochenende nicht gekommen", sagt der Elektroingenieur Fernando Rodríguez.
Problematisch ist auch, dass Geschäfte nur noch zu bestimmten Stunden beliefert werden können und die Müllabfuhr nicht mehr zwei Mal am Tag fährt wie in manchen Vierteln bisher üblich, sondern nur noch einmal. "Die Luft wird vielleicht langfristig sauberer, aber es gibt überall mehr Abfall", beschwert sich Rodríguez.
Im Detail hakt es jedoch noch
"Es ist ein wenig verrückt, wie die Fahrradwege in Madrid organisiert sind", beschwert sich zum Beispiel Gonzalo Puig, der Manuela Carmena gut gesonnen ist, "aber einige der Maßnahmen wurden nicht richtig geplant", sagt der Pharmazeut. Der Fahrradweg befindet sich an den meisten Stellen zwischen Taxi und Autospur: "Das ist sehr gefährlich", findet Puig.
Und viele betroffene Autofahrer fühlen sich abgezogen. Allein an einem Tag im Dezember wurden 1450 Strafzettel vergeben. An dem Tag war neben dem eingeschränkten Fahrverbot in der Innenstadt auch die Stadtautobahn für Autos ohne Umweltplakette gesperrt und das Tempolimit auf 70 Stundenkilometer herabgesetzt.
Die in einem Vorbezirk von Madrid lebende deutsche Künstlerin Carolina Beyer beklagt, sie müsse öfter in Galerien und bisher sei nicht geregelt, wie Fahrzeuge zum Be- und Entladen parken können. "Mit meinen riesigen Bildern wird es etwas schwierig Metro zu fahren", meint Beyer. "Es fehlt die Ausarbeitung der Details."
Gut Ding will Weile haben
Demonstrationen oder gröβere öffentliche Proteste gab es trotz aller Beschwerden bisher noch nicht in Madrid. "Wir müssen Geduld haben und hoffentlich werden auch die Dinge, die jetzt nicht funktionieren, schnell geregelt", sagt Erika Pérez, die ein Touristenbüro in der Stadt führt. Carmena habe ja ein offenes Ohr für alle. Auch für ihr Büro gibt es - wie bei den Galerien - noch keine klaren Anfahrts-Regelungen.
Trotz der vielen Beschwerden, lässt sich schon jetzt ein klarer Gewinner von "Madrid Central" ausmachen: die öffentlichen Verkehrsmittel. Über drei Millionen Menschen haben allein am ersten Adventswochenende Busse genutzt, über sieben Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Und auch der öffentliche Fahrradverleih ist seit dem 30. November bereits um 20 Prozent gestiegen.