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Sharing Economy boomt in Spanien

27. März 2018

Es ist mehr als Second Hand: Die "Wirtschaft des Teilens" oder Sharing Economy erlebt in Spanien einen Boom, von dem auch der Arbeitsmarkt profitiert. Treiber sind Startup-Unternehmen. Von Stephanie Müller, Madrid.

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Spanien Madrid  Mietstation für Fahrräder
Bild: Bärbel Neubauer

Spanien ist ab 2011 in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte geschlittert. Durch Gröβenwahn, Korruption und Gier hatte sich das Land regelrecht in den Abgrund manövriert. Die Spanier haben deswegen genug von der traditionellen Wirtschaft und Politik und setzen auf "Sharing Economy", auf die "Ökonomie des Teilens". Sie macht nach einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young bereits 1,4 Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts aus.

Die Geschichte dieser neuen Form zu wirtschaften begann im Mai mit dem 15M, der Bürgerbewegung für eine sozialere und gerechtere Wirtschaft. Daraus entstand die linke Partei Podemos ("Wir können"), die versucht, durch eine gröβere Bürgerbeteiligung bei der Bevölkerung aufzutrumpfen.

Auch der Erfolg der liberalen Partei Ciudadanos erklärt sich aus dieser Finanzkrise heraus, welche eine Bankenrettung durch die EU zur Folge hatte. Die neuen spanischen Liberalen kämpfen für eine pragmatischere und korruptionsfreie Wirtschaftspolitik und sind inzwischen nach den beiden Volksparteien PSOE und PP die drittstärkste Partei im Land.

Mit dem politischen Wandel entstanden immer mehr Startups der "Sharing Economy", weil den Menschen schnell klar wurde: Wer teilt, muss trotz Krise nicht auf Lebensqualität verzichten. Es entstanden Plattformen wie Wallapop (Second-Hand-Börse), Socialcar (Teilen von Privatautos), Cabify (privater Taxiservice) und Spotahome (Vermietungszentrale).

Spanien hat technischen Vorteil

Spanien hat eindeutig einen technischen Vorteil bei der Verbreitung der "Sharing Economy": Das Land verfügt dank weniger Regulierungen für das Glasfasernetz und globaler Vorreiter in Sachen Digitalisierung, wie dem Telekommunikationsriesen Telefónica sowie der Banken Santander und BBVA, über das gröβte Breitbandnetz Europas.

Viele Innovationen im Bereich Fintech, also auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungstechnologie, haben Spanien zum Vorreiter bei alternativen Zahlungs- und Tausch-Plattformen wie Bitcoin und Blockchain gemacht. Es wurden nicht nur gerade von Telefónica Anleihen über das Blockchain-System mit groβem Erfolg emittiert, sondern es gibt inzwischen auch für den Tourismusbereich eine eigene Währung: den "Touriscoin".

Spanien Madrid Rollervermietung
Die Firma Cooltra vermietet elektrische RollerBild: Cooltra

"Aus all diesen Gründen ist Spanien in Europa eindeutig Vorreiter im Bereich der 'Sharing economy'", sagt Timo Buetefisch, Geschäftsführer von  Cooltra, einer in Barcelona angesiedelten Firma, die in der Stadt elektrische Scooter ausleiht und damit in Spanien enorme Wachstumsraten erzielt.

Aber das Teilen geht im - trotz guter Wachstumsraten - immer noch von einer hohen Arbeitslosigkeit gebeutelten Land weit über die Mobilität hinaus: Der Zahnhygiene-Experte nutzt die Klinik, wenn der Arzt keine Sprechstunde hat, der Hundefriseur schneidet in der Mittagspause des Veterinärs in dessen Praxis seinen Kunden das Fell. Das Restaurant wird abends zum Musicclub oder die Börse und das Gemeindehaus werden am Wochenende zum Eventort umfunktioniert. Immer sind andere Firmen involviert, die ein gemeinsames Gut nutzen.

Die "Sharing Economy" schafft Arbeitsplätze

Die spanische Arbeitsministerin Fátima Báñez glaubt, dass dieser neue Spirit auch den durch niedrige Löhne und unsichere Beschäftigung gezeichneten Arbeitsmarkt langfristig verbessern wird. Derzeit gibt es immer noch 16 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, die keine Arbeit haben.

Báñez setzt dabei vor allem auf die guten alten Genossenschaften und Gütergemeinschaften, Vorreiter der "Sharing Economy": "Schon jetzt sind 80 Prozent der Verträge in diesen Firmentypen unbefristet."  Die Arbeitsministerin erkennt öffentlich an, dass die auf Teilen und Gemeinschaft ausgerichteten Startups derzeit die einzigen sind, die die durch die Krise zerstörten Arbeitsplätze wieder durch neue kompensieren.

Antoni Paz von der spanischen Unternehmensberatung KIM weist jedoch daraufhin, dass Teilen oder Tauschen eigentlich nichts Neues ist: "Vorher war der Gebrauchtwarenmarkt oder das WG-Leben für Studenten in Spanien wenig präsent, in anderen Ländern schon. Wir haben das alte Tauschgeschäft einfach nur digitalisiert." Dabei hat geholfen, dass die Spanier ihr Handy kaum aus der Hand legen und nach einer Studie von Google 81 Prozent der Bevölkerung ein Smartphone besitzen. Spanien liegt, was die Handy-Nutzung betrifft, weltweit auf Platz fünf. 

Mit "Sharing Economy" Geld verdienen 

Bei der "Sharing Economy" geht es nicht nur um Solidarität, sondern auch darum, dass viele Menschen durch das Teilen zusätzliche Einnahmen erzielen, was den enormen Boom von Airbnb, Homeaway und "Be Mate" in Spanien erklärt, aber auch von Plattformen wie Socialcar. "Die Unterhaltung eines Autos ist teuer. Durch Teilen wird es finanzierbar", sagt Gründerin Mar Alarcón. Noch deutlicher wird diese Notwendigkeit bei der Finanzierung einer Hypothek. Durch die Immobilienkrise ist der Teil der privaten Ferienvermietung in Spanien regelrecht explodiert.

Viele neue Wettbewerber sind seit einigen Jahren auf dem Markt, darunter auch Hotelketten wie "Room Mate", die "Be Mate" gelauncht haben: die Vermietung von meist privaten Luxus-Appartments ab 100 Euro die Nacht: "Wir glauben, dass diese Art der 'Sharing Economy' auch im Tourismus nicht aufzuhalten ist. Wir haben lieber mitgemacht, als wie andere Wettbewerber dagegen zu protestieren", sagt Room-Mate-Eigentümer Kike Sarasola.

Eine etwas kuriose Folge dieser Entwicklung: "In Madrid gibt aufgrund des Touristen-Booms und dem enormen Ferienwohnungsangebot inzwischen Viertel, wo mehr Urlauber leben als Einwohner", sagt Inés Sabanes von der Madrider Gemeinderegierung.

Versicherungen rund um die Sharing Economy boomen

Das Geschäft mit den Versicherungen von geteilten Leistungen ist nicht nur eine Herausforderung für die Firmen, sondern auch ein wachsendes Business.  Diese Art Risiken sind normalerweise nicht versicherbar, da das Produkt, Auto oder Wohnung, von vielen verschiedenen Personen genutzt wird und das auf privater Basis. Axa und Allianz sind zwei der Unternehmen, die sich in diesem komplexen, aber wachsenden Markt in Spanien bereits tummeln und unter anderem mit Car2go zusammenarbeiten.

Spanien Madrid Luxusappartment
Luxusappartments zum TeilenBild: Room Mate

Aber die Verantwortung für den Schaden bleibt in einer gewissen Grauzone. Zum Beispiel bei Carsharing-Modellen, wo die genaue Zuteilung der Schäden nicht immer möglich ist und Konflikte programmiert sind. "Vielleicht ist die Verbreitung dieses Wirtschaftssystems in Spanien auch deswegen gröβer als zum Beispiel in Deutschland, weil man hier toleranter mit Schäden umgeht. Nicht bei jedem Kratzer am Auto wird die Versicherung angerufen", glaubt der auf Mallorca ansässige deutsche Rechtsanwalt Tim Wirth.

Aber auch wenn Länder wie Spanien, die in den vergangenen Jahren die Folgen eines wilden Spekulierens auf brutalste Weise gespürt haben und deswegen besonders offen sind zu teilen, glaubt der deutsche Wirtschaftsprofessor Jürgen Donges, dass es sich um einen globalen Trend handelt: "Unsere globale Wirtschaft wird immer mehr auf diesen Prinzipien des Tauschens und Teilens basieren, weil die Menschen den Nutzen direkt erleben und die Digitalisierung den globalen Austausch möglich macht."  

Made in Germany - "Sharing Economy": Teilen statt haben