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Lebenslange Haft für Van-Gogh-Mörder

Tina Gerhäusser26. Juli 2005

Mohammed Bouyeri ist wegen Mordes an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Tat hatte das weltoffene Land in eine Identitätskrise gestürzt.

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Der Gerichtssaal in AmsterdamBild: dpa / Benelux-Press

Das Urteil ist keine Überraschung. Dass der 27-jährige Mohammed Bouyeri den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen muss, hatten alle erwartet. Aber wichtig ist der Tag für die Niederlande trotzdem: Denn es war Bouyeri, der dem selbst definierten Multikulti-Paradies einen Schock versetzt hatte.

Die Tat

Jahresrückblick 2004 November Theo van Gogh
Der Filmemacher Theo van Gogh im August 2001Bild: AP

Am 2. November 2004 war der islamkritische Filmemacher Theo van Gogh auf dem Weg zur Arbeit im Zentrum von Amsterdam ermordet worden. Nach Augenzeugenberichten schoss Mohammed Bouyeri, dessen Familie aus Marokko stammt, van Gogh erst nieder und schnitt ihm dann die Kehle durch. In einem Brief bei der Leiche drohte er mit weiteren Morden.

Prozessbeginn im Mordfall Theo van Gogh Angeklagter Mohammed B. (Bouyeri)
Der Angeklagte Mohammed BouyeriBild: dpa

"Es gibt ein Gesetz, das mich dazu verpflichtet, demjenigen den Kopf abzuschneiden, der den Propheten (der Prophet Mohammed, A.d.R.) beleidigt" sagte Bouyeri auf der Anklagebank. Religiöse Überzeugung, nicht Hass sei das Motiv für sein Handeln gewesen.

Der ermordete van Gogh hatte bis zu seinem Tod an einem Film gearbeitet, der die Unterdrückung der Frauen in der islamischen Welt anprangert. Seinen Mörder Bouyeri befand das Gericht in mehrfacher Hinsicht für schuldig: des Mordes an Theo van Gogh mit terroristischer Absicht, des versuchten Mordes an mehreren Polizeibeamten und Passanten, und schuldig, Todesdrohungen gegen die rechtsliberale Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali verfasst zu haben. Sie musste nach dem Mord an van Gogh untertauchen.

Das Urteil folgt damit in weiten Teilen der Anklage der Staatsanwaltschaft. Sie hatte erklärt, es sei Bouyeris Ziel gewesen, "die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der Niederlande zu zerstören".

Der Dunstkreis des Täters

Zerstört hat Bouyeri mit seiner Tat einen guten Teil des niederländischen Selbstverständnisses als funktionierende tolerante Multikulti-Gesellschaft. Der Geheimdienst deckte auf, dass der junge Mann zu einer Gruppe von radikalen Islamisten gehörte, zu der so genannten Hofstad-Gruppe.

Männer und Frauen um die 20 trafen sich - und treffen sich vermutlich noch immer - zu losen Gesprächsrunden. Dabei tauschten sie zunächst Gedanken über Religion aus, ohne feste Mitgliedschaft: "So wie mein Sohn sich mit Leuten von der Schule trifft", sagt Martin van Bruinessen vom International Institut for the Study of Islam in the Modern World der Univerität Leiden. Zwar sei es dem niederländischen Geheimdienst gelungen, die Hofstad-Gruppe zu infiltrieren - einige Mitglieder wurden inhaftiert. Vor kurzem konnten bei einer Razzia Waffen und Munition in einem Haus, in dem sich die Gruppe trifft, sicher gestellt werden. Aber das Wissen über die radikal islamischen Gruppen sei insgesamt "sehr im Fluss", meint van Bruinessen.

Nach jüngsten Aussagen des niederländischen Innenministers Johan Remkes in einem Fernsehinterview gibt es in den Niederlanden bis zu 20 aktive radikal-islamistische Gruppierungen. Wie ein großes, "zusammenhängendes Netzwerk" dürfe man sich das allerdings nicht vorstellen, sagt Martin van Bruinessen. Kommunikationsmittel sei oft das Internet und es sei sehr schwierig abzuschätzen, wie viele Personen dahinter stecken und wer was von den anderen Gruppen weiß.

Die Mitgeschädigten

Weil es so wenig Klarheit gibt, wird die Mehrheit der 900.000 Muslime in den Niederlanden zu Unrecht verdächtigt. Nicht von Regierung und Geheimdienst, aber von der Bevölkerung. Es sei schwieriger geworden für Muslime - das bestätigt Maurice Strijkers vom Meldepunkt Discriminatie Amsterdam, der Anlaufstelle für Opfer jeglicher Art von Diskriminierung. 25 solcher, von den Gemeinden getragene Meldepunkte gibt es in den Niederlanden, aber der größte ist in Amsterdam.

600 Beschwerden gingen 2004 ein, die meisten wegen Dikriminierung am Arbeitsmarkt. Nicht alle Opfer sind Muslime, die wegen ihrer Religion oder ihrer Herkunft schlechter behandelt werden. Aber deren Zahl wächst. Türkische Frauen, die einen Job nicht bekommen oder verlieren, weil sie Kopftuch tragen. Marokkanische Männer, die auf der Straße beschimpft werden oder denen die Türsteher den Zutritt zu Diskotheken verweigern.

Der (schwache) Trost

Beerdigung von Theo van Gogh in Amsterdam
Stoppt den Hass - Banner auf der Beerdigung von Theo van GoghBild: AP

Viele Initiativen bemühen sich darum, dass der niederländische Traum von einer Gesellschaft der verschiedenen Ethnien und Religionen nicht für immer zerbricht. Zum Beispiel durch Diskussionsabende in multikulturellen Stadtteilen, durch Streetwork, aber auch mit einem IQ-Test für interkulturelles Wissen: Auf der Internetseite der Amsterdamer Initiative "Amsterdam lebt zusammen" kann jeder testen, ob er weiß, wer den ersten islamischen Schlager in Amsterdam schrieb und wo das Marmara-Meer liegt.

Während viele hoffen, dass mit dem Urteil über Mohammed Bouyeri den Angehörigen und Freunden des ermordeten Theo van Gogh Gerechtigkeit wiederfährt, machen sich die Amsterdamer Gedanken über das Gedenken an den Filmemacher. Die Zeitung "Het Parool" hat gemeinsam mit der Stadt dazu aufgerufen, Ideen für ein Van-Gogh-Denkmal und die Gedenkfeier am 2. November 2005 zu sammeln.