1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Lehrer in den USA twittert Kunst für Aleppo

Amien Essif lf
21. Dezember 2016

Eine Grundschulklasse hat unter dem Hashtag #ArtforAleppo Zeichnungen ihrer "Helden" in Aleppo veröffentlicht. Ein Versuch, die Geschehnisse zu verarbeiten und zu protestieren, so ihr Kunstlehrer.

https://p.dw.com/p/2UbE2
Art for Aleppo
Bild: M. Nelson

In der kleinen Stadt Kewanee in den USA, etwa zwei Autostunden von Chicago entfernt, hat ein Grundschullehrer mit Zeichnungen seiner Schüler für internationale Aufmerksamkeit gesorgt. Seit September twitterte Marc Nelson mit Kohle und Wasserfarben gemalte Kriegsbilder seiner Schüler, die die "Helden" von Aleppo zeigen. Eine Botschaft der Solidarität für die Betroffenen des seit fünf Jahren andauernden Syrien-Konflikts. Es begann als persönliche Kampagne über seinen Twitter-Account @MarcNelsonArt unter den Hashtags #ArtforAleppo und #StandWithAleppo. Auch seine Schüler sind seit einiger Zeit dabei und versuchen – genau wie ihr Kunstlehrer – die schrecklichen Bilder in den Nachrichten zu verdauen, indem sie sie in Kunst verwandeln und mit dem syrischen Volk teilen.

In Syrien ist die Anteilnahme angekommen. Auch bei der Syrischen Zivilvereinigung – besser bekannt als "Weißhelme" -, die mit ihrem Twitter-Account auf die Kunst der Schüler aufmerksam machte.

Eine Stunde bei Marc Nelson ist anders als normaler Kunstunterricht. Doch er glaubt, dass es sowohl die Pflicht eines Künstlers als auch eines Lehrers ist, sich mit dem Weltgeschehen auseinanderzusetzen - und er ist beides.

Art for Aleppo
Eine Zeichnung eines verwundeten Neugeborenen in Aleppo von Marc NelsonBild: M. Nelson

Seine eindringlichen, fast farblosen Zeichnungen von betroffenen Syrern seien von deutschen Künstlern wie Käthe Kollwitz, Otto Dix, George Grosz und Anselm Kiefer inspiriert, die zu ihrer Zeit eine "unerschrockene Antwort auf den Krieg" gaben.

Im Interview mit der Deutschen Welle spricht Nelson über seine unerschrockene und gleichzeitig einfühlsame Interpretation des Leids, das er täglich in den Nachrichten sieht. Und von seiner Hoffnung, in seinen fünf- bis 14-jährigen Schülern ebenso den Ethos engagierter Künstler wecken zu können.

DW: Herr Nelson, wie kommt man dazu, im Kunstunterricht mit Kindern über Syrien zu sprechen?

Marc Nelson: Wir haben den Bilderroman "Maus" von Art Spiegelman gelesen, eine bahnbrechende Arbeit über die Reaktionen auf menschliche Tragödien im Kontext des Zweiten Weltkriegs. Als die Syrienkrise zu eskalieren begann, habe ich Parallelen zu "Maus" gezogen.

Marc Nelson
Lehrer und Künstler: Marc Nelson Bild: Patti Sullivan-Howd

Ich lebe in einer kleinen Stadt auf dem Land mit vielleicht 14.000 Einwohnern. Aber das ist kein Grund, einfältig zu sein. Wir sprechen im Unterricht über Künstler, die auf die Geschehnisse reagieren.

Wie kam es, dass Schüler an Ihrer #ArtForAleppo Twitter-Kampagne teilgenommen haben?

Am selben Tag kamen zwei Mädchen mit herzzerreißenden Bildern, die sie zuhause gemalt hatten, in die Schule. Sie waren nach Hause gegangen und hatten im Internet Bilder aus den Nachrichten gefunden.

Warum nutzen Sie ausgerechnet Twitter, um die Kunstwerke zu verbreiten?

Die sozialen Medien retten Leben, indem sie Menschen in diesem Konflikt ein Gesicht und eine Stimme geben -  genau wie Anne Frank es posthum für den Holocaust getan hat. Als Kunstklasse sind wir bestimmten Menschen in Syrien gefolgt, zum Beispiel  Bana Alabed, dem siebenjährigen Mädchen, das mit seiner Mutter über die Zerstörung in Aleppo getwittert hat. Und auch dem Lehrer Herrn Alhamdo. Über Periscope haben wir Videos gesehen, die ihn mit seinen Schülern im Unterricht zeigten. So entstand eine direkte Verbindung zwischen ihnen und uns.

Erzählen Sie mir von Ihrer Methode? Wie wählen Sie ein Bild aus, und wie erschaffen Sie ein neues Bild daraus?

Art for Aleppo von Marc Nelson
Dieses Bild eines Mannes, der ein junges Mädchen aus den Trümmern Aleppos herausträgt, war die erste Zeichnung, die Nelson unter dem Hashtag #ArtforAleppo auf Twitter posteteBild: M. Nelson

Meine erste Zeichnung machte ich, als ich in einem Nachrichtenartikel das Bild eines Mannes sah, der ein Mädchen trug, das sich noch immer an seine kleine Decke klammerte. Das hat mich tief getroffen und ich habe mir einfach mein Skizzenbuch genommen und es schnell aufgezeichnet, innerhalb von zehn Minuten. Eine intuitive Auswirkung des Bildes. Ich gehe meistens über die Google Bildersuche. Da gibt es immer ein Foto, das mich berührt, ob es der Gesichtsausdruck eines Kindes ist oder ein verängstigter Blick. Bei den Helfern mischen sich Entsetzen und Pflichtbewusstsein.

Meine Frau hat mir später vorgeschlagen, mit etwas Farbe zu arbeiten, aber am Anfang habe ich nur ganz schnell mit Kohle gezeichnet, wie ich es am liebsten tue. Es ist sehr direkt und überträgt die menschliche Hand unmittelbar auf das Papier.

Ist Ihre Arbeit ein Kommentar zur medialen Berichterstattung über den Krieg?

Ich versuche sie nicht zu kommentieren, ich reagiere auf sie. Ich bin ein Bilder-Jäger, und aus Syrien strömen Bilder geradezu heraus. Man kommt gar nicht hinterher. Wenn überhaupt, dann reagiere ich auf die neue Medienrealität - innerhalb weniger Minuten erreichen uns Bilder aus der Kriegszone.

Art for Aleppo
Auf die Anregung seiner Frau hin, begann Nelson Farbe für seine Kunstwerke zu benutzenBild: M. Nelson

Gab es auch negative Reaktionen auf Ihr Twitter-Projekt?

Nicht in meiner unmittelbaren Nähe. Aber es gab Leute, die online auf meine Kunstwerke "terroristische Propaganda" geschrieben und sie dann gepostet haben. Und ich war überrascht darüber. Mir ist sowas noch nie vorher passiert. Ich bin unerfahren in diesem Bereich. Ich bin kein wirklich großer Social Media Typ. Der einzige Grund, warum ich das tue, ist, weil ich es für den einzigen Weg gehalten habe, die Kunst zu teilen.

Sie stellen Ihren Schülern jede Menge Fragen. Denken Sie, es gibt jemanden, an den sich die Kinder wenden können, der ihnen diese Fragen beantwortet?

Manche Kinder sind sehr beunruhigt. Sie fragen mich immer wieder, warum jemand ein Krankenhaus bombardiert. Warum tut jemand so etwas? Eine schwierige Frage. Ich habe keine Antwort darauf. Aber ich tue mein Bestes. Ich sage nicht einfach, dass ich es nicht weiß.

Art for Aleppo
Eine Frau küsst die Hand eines verwundeten Mannes in AleppoBild: M. Nelson

Wir sprechen viel über den Kontext, die syrische Revolution, den Arabischen Frühling. Aber ich sage den Kindern auch, dass die Lage viel komplizierter geworden ist. Es ist nicht einfach ein Kampf zwischen der Freien Syrischen Armee und der Assad-Regierung.

Die Schüler sollen sich selbst ein Bild machen. Und ich gebe ihnen Ratschläge, wo sie sich informieren können. In unserem Land findet eine große Diskussion darüber statt, welchen Medien man vertrauen kann und wie man Fake News erkennt. Mir gefällt es nicht, wenn Pädagogen Dinge vor Kindern verstecken. Ich möchte nicht, dass sie sich der globalen Situation und ihrer Verbindung dazu nicht bewusst sind.