Kroatiens EU-Mitgliedschaft noch in weiter Ferne
28. September 2006"Ich sehe schon Bulgarien und Rumänien am 1. Januar 2007 als Mitglieder in der EU. Ich sehe aber für Kroatien technische Probleme, wenn es um die EU-Mitgliedschaft geht: Es geht vor allem um die Komplikationen um die EU-Verfassung. Deutschland will während der EU-Ratpräsidentschaft im nächsten Jahr diese Probleme lösen, aber es ist fraglich, ob das gelingt. Man kann über diese juristischen Hürden nicht so einfach herüber springen. Deswegen ist es noch gar nicht absehbar, ob Kroatien sein eigenes Ziel erreichen kann, nämlich die EU-Mitgliedschaft bis 2009 zu erlangen", warnt Franz-Lothar Altmann von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik. Er ist einer der politischen Analytiker, die sich in den letzten Jahren mit dem so genanntem "westlichen Balkan" und dessen Annäherung an Brüssel sehr aufmerksam auseinandergesetzt haben.
Zeit wurde vergeudet
Am Anfang dieses Jahrzehnts habe Kroatien viel bessere Chancen für eine schnelle Aufnahme in den EU-Club gehabt, vielleicht sogar "im Paket" mit Bulgarien und Rumänien, meint Altmann. Aber die kroatische Regierung habe sich viel zu lange geweigert, den in Haag angeklagten General Anto Gotovina auszuliefern. Zum Schluss sei er doch vor dem Tribunal gelandet. Hat Kroatien also Zeit vergeudet? "Das ist völlig richtig", bestätigt Altmann. Man hätte damit Zeit gewinnen können. "Ob es gereicht hätte, damit Kroatien in den Aufnahmeprozess mit Bulgarien und Rumänien zusammen aufgenommen worden wäre, können wir jetzt nicht mehr sagen. Technisch hatte Zagreb damals auf jeden Fall Nachholbedarf im Vergleich zu den anderen EU-Kandidaten. Aber Kroatien war zu diesem Zeitpunkt in einer Situation, aus der es sehr schnell alle Rückstände hätte aufholen können", sagt Altmann.
Es wurde also damals eine falsche Politik in Zagreb betrieben, die Kroatien Zeit gekostet hat. Heute ist Kroatien auch ein Opfer politischer Umstände, auf die das Land kaum Einfluss nehmen kann: "Kroatien ist Opfer, sowohl der Skepsis die jetzt entstanden ist wegen Bulgarien und Rumänien, insbesondere der Korruption- und Kriminalbekämpfung, als auch wegen der ganzen Debatte um die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Der EU-Erweiterungsprozess wird zurzeit von diesen Themen überschattet", analysiert der Leiter der Forschungsgruppe "Westlicher Balkan", Franz-Lothar Altmann.
Einseitige Partnersuche
Auf der Suche nach Befürwortern der EU-Mitgliedschaft, hat sich Kroatien ziemlich lange und fast ausschließlich auf Berlin und Wien verlassen. Möglicherweise ein großer Fehler: "Kroatien hätte auf jeden Fall auch eine aktivere Politik gegenüber London und Paris führen können. Man hätte auch deutlicher zeigen können, dass man keine neue Allianz mit Deutschland und Österreich anstrebt. Aber Zagreb hat auch bemerkt, dass aus Berlin und Wien große Unterstützung kommt. Deswegen ist es leicht zu verstehen, dass Kroatien diese Beziehungen pflegen wollte", erläutert Altmann.
Er äußerte sich auch zur Rolle, die die Vereinigten Staaten spielen: "Washington hat Kroatien während des Krieges Mitte der 90-er Jahre deutlich unterstützt, z.B. mit geheimen Waffenlieferungen, um aus Kroatien eine Festung gegen Milosevic zu machen. Washington hat aber ein Problem, wenn es um die Europäische Union geht: auf der einen Seite wollen die Amerikaner in der Region starke strategischen Partner haben, nicht aber eine starke EU. Amerika hat mehr Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit der Türkei, Rumänien und Bulgarien als mit Kroatien. Washington verhält sich gegenüber Zagreb nicht wirklich ablehnend, aber stets reserviert. Doch das muss in der Diskussion um die kroatische EU-Mitgliedschaft nicht zwingend negativ sein. Wie wir am türkischen Beispiel sehen können, ist die starke Unterstützung aus Amerika nicht immer nützlich".
Eigene Aufgaben lösen
Was kann und muss in Zagreb getan werden, um den Beitrittsprozess zu beschleunigen? Auf der einen Seite gibt es riesige Probleme in der Diskussion um die EU-Verfassung. Auf der anderen Seite ist die kritische bis ablehnende Haltung der EU-Bürger gegenüber weiteren EU-Erweiterungen nicht zu übersehen. "Kroatien kann leider selbst in dieser Beziehung nicht so viel machen. Kroatien ist, einfach gesagt, viel zu schwach, um diesbezüglich etwas selbst zu unternehmen innerhalb der EU. Kroatien kann eigentlich nur so schnell wie möglich seine Aufgaben lösen, versuchen, sich als ein potenzielles, fleißiges Mitglied der EU zu präsentieren. So kann Zagreb einen Punkt erreichen, an dem man sagt: ‚wir erfüllen alle Kopenhagener-Kriterien und wenn ihr in der Europäischen Union wegen der EU-Verfassung euren Teil der Abmachung nicht erfüllt, es ist ein Armutszeugnis für euch, denn ihr müsst jetzt reagieren’", sagt Franz-Lothar Altmann, Leiter der Forschungsgruppe "Westlicher Balkan" bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.
Lidija Klasic
DW-RADIO/Kroatisch, 27.9.2006, Fokus Ost-Südost