Kap der Angst
1. Februar 2007David Rattray wurde Ende Januar 2007 auf seiner Farm in Südafrika vor den Augen seiner Frau mit mehreren Kugeln erschossen. Nichts Besonderes im Land am Kap, wenn der 49-Jährige nicht renommierter Historiker und enger Freund von Prinz Charles gewesen wäre. Südafrika hat unter den Ländern, die Polizeistatistiken führen, die höchste Kriminalitätsrate. Nur noch besonders brutale Morde und Vergewaltigungen sorgen dort für einen kurzen Aufschrei von Empörung und Entsetzen. Oder eben der Status des Opfers: Etwa wenn Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer ausgeraubt oder Prinz Harrys Freundin Chelsy Davey überfallen wird, wenn bekannte südafrikanische Designer, Musiker oder Schauspieler erschossen werden.
Wie im Bürgerkrieg
AIDS kostet Südafrika jeden Tag 1000 Leben. Kriminalität ist die zweite große Katastrophe, mit der die junge Demokratie zu kämpfen hat. Südafrika mit seinen 40 Millionen Einwohnern bezahlt für seine extremen sozialen Gegensätze einen Blutzoll wie ein Bürgerkriegsland. Seit dem Ende der Apartheid 1994 wurden Südafrikas Polizei zufolge mehr als 420.000 Menschen ermordet und totgeschlagen. Nur Kolumbien hat eine noch höhere Mordrate. Mehr als 650.000 Vergewaltigungen wurden angezeigt, die Dunkelziffer liegt Schätzungen zufolge zwanzigfach höher. Statistisch muss jede zweite Südafrikanerin damit rechnen, einmal in ihrem Leben vergewaltigt zu werden.
2010 richtet Südafrika die Fußball-WM aus. Die Ausrichtung gilt als eine Frage der afrikanischen Ehre. Auf Kritik reagiert das offizielle Südafrika dünnhäutig oder mit lautstarkem Optimismus. Noch am Tag des WM-Finales in Berlin verkündete Präsident Thabo Mbeki, es stehe schon fest, dass die nächste WM in Südafrika "die erfolgreichste aller Zeiten" werde.
Mehr Polizei
Damit es für hunderttausende Fans nicht die gefährlichste WM aller Zeiten wird, hat Mbeki ein entschiedeneres Vorgehen angekündigt. Die Polizei soll um Mann und Material aufgestockt werden, Genaueres ist noch nicht zu erfahren. Südafrika gibt drei Prozent seines Bruttoinlandprodukts (Zahl aus 2004) für sein Strafverfolgungssystem aus, zwei Prozent mehr als der Weltdurchschnitt. Ausgaben, die auf der Straße nur wenig ändern: Noch immer beschäftigt Südafrika gerade 260 Polizisten auf 100.000 Einwohner - der internationale Durchschnitt liegt bei 380.
Nicht in die Innenstadt
Derart unterbesetzt, bleibt Südafrika vom 1996 ausgerufenen Ziel, die Kriminalität um 7 bis 10 Prozent jährlich zu senken, weit entfernt. Auch für Besucher bleibt das Land gefährlich. Überfälle sind an der Tagesordnung, Touristen sind ein beliebtes Opfer von Räubern, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. Ende Januar wurde eine französische Schwimmerin auf der Strandpromenade von Durban mehrfach vergewaltigt. Man solle die Innenstädte von Pretoria, Johannesburg, Kapstadt und Durban nach Geschäftsschluss meiden, rät das Auswärtige Amt, von der Benutzung von Vorortzügen solle man ganz absehen.
Der mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Afrikanische National-Kongress (ANC) redet das Problem derweil klein. Sicherheitsminister Charles Nqakula etwa glaubt Südafrika "auf einem guten Weg", weil das Morden seit 2001 um gut 13 Prozent zurückging. Aber immer noch 18.258 Menschen wurden 2005 umgebracht, 248 oder gut ein Prozent weniger als im Vorjahr. Banküberfälle, Entführungen, Car-Jacking (der Raub von Fahrzeugen unter vorgehaltener Waffe) und Überfälle auf Geldboten nahmen dagegen markant zu, letztere sogar um drei Viertel. "Wir scheinen das Problem zu haben, dass die Gewaltkriminalität insgesamt steigt", sagt Labane Maluleke, Sprecher der einflussreichen Initiative "Business Against Crime" (BAC).
"Wahrnehmungsproblem"
Präsident Mbeki versuchte derweil in einem Fernsehinterview im Januar die Kriminalität als "Wahrnehmungsproblem" zu relativieren. Vizepräsident Jacob Zuma gab zum Besten, durch die Medien entstehe der Eindruck einer hohen Kriminalität. Ein wenig mehr Patriotismus wäre da wünschenswert, so Zuma. Und Südafrikas Polizeichef Jackie Selebi will die "ganze Aufregung über Kriminalität und ihren Effekt auf die Fußball-WM" nicht nachvollziehen können.
Im Kokon der Selbstgefälligkeit
Opposition wie Medien sind fassungslos: Die Zeitungen sind voller bitterböser Kommentare. "Die Regierung ist in einem Kokon von Selbstgefälligkeit gefangen", empört sich die Abgeordnete Dianne Kohler Barnard, sicherheitspolitische Sprecherin der Demokratischen Allianz. "Inmitten einer Kriminalitäts-Krise versucht der ANC das Problem wegzudiskutieren, statt Lösungen vorzustellen, auf die alle warten." Umfragen besagen, dass die überwältigende Mehrheit der Südafrikaner inzwischen Kriminalität als das beherrschende Problem des Landes sieht - vor Armut, Rassismus und der Fußball-WM.
"Sie können jammern, bis sie blau anlaufen", kanzelte Ngakula im letzten Jahr Kritiker im Parlament ab, "oder Südafrika verlassen." Genau dies machen viele gut ausgebildete Südafrikaner: Sie verlassen scharenweise das Land. Der "Brain Drain": Ein weiteres, längst beschriebenes Problem Südafrikas - und eine weitere Folge der Kriminalität. Wer bleibt und es sich leisten kann, verschanzt sich hinter Elektrozäunen und Stacheldraht und bleibt nachts zu Hause. Eine Aussicht, an die sich zukünftige WM-Touristen besser schon mal gewöhnen.