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Kommentar: Schluss mit den markigen Parolen

Daphne Antachopoulos20. April 2006

Es schien, in Deutschland habe endlich eine sachliche Diskussion über Integration begonnen. Dem ist aber nicht so, die Debatte droht ins Populistische abzugleiten, meint Daphne Antachopoulos.

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Kinder verschiedener Nationaliäten in Berlin: Es geht auch um ihre Zukunft.Bild: dpa

Ausgelöst durch Pläne zu so genannten Einbürgerungstests begann man in diesem Frühjahr über ein einheitliches Konzept zur Einbürgerung zu diskutieren. Auch wenn die einzelnen Fragebögen verschiedener Bundesländer nicht durchweg überzeugten, so stimmte doch immerhin der Grundgedanke: Was sollte ein Einbürgerungswilliger über Deutschland wissen? Und wie kann man herausfinden, ob er sich ausreichend mit den Werten der Bundesrepublik identifiziert?

Die Debatte wurde weiter vertieft nach dem Hilferuf einer Schule in Berlin, deren Lehrer über zunehmende Gewalt insbesondere unter Zuwandererkindern klagten. Migranten-Ghettos wurden klar als Problem-Viertel erkannt, in denen vieles nicht so läuft, wie es laufen sollte, und in denen andere Werte gelten als in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Auch dies gab Anlass zu sinnvollen Debatten darüber, wie ein bundesweites Integrationskonzept aussehen könnte: Wie können Einwanderer-Kinder zumindest besser Deutsch lernen, um später Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben? Wie können sie sich insgesamt besser in die deutsche Gesellschaft integrieren?

Populistischer Tonfall nach Ehrenmord-Prozess

Doch diese Debatte droht nun in hektisches Wortgeklingel umzukippen. Auslöser diesmal: Das Urteil gegen den Bruder und Mörder von Hatun Sürücü. Die türkischstämmige Deutsche wurde getötet, weil ihr westlicher Lebensstil dem Ehrenkodex ihrer Familie widersprach. Sie ging arbeiten, hielt sich an keine familiären Vorschriften und zog ihren Sohn ganz allein auf. Jetzt - nachdem kurz vor Ostern das Urteil gegen ihren Bruder und Mörder gefällt wurde - plant ihre Familie, das Sorgerecht für ihren Sohn zu beantragen. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft immer noch überzeugt ist, dass der Mord an Sürücü von mehreren Familienmitgliedern geplant worden war, denen dies aber vor Gericht bisher nicht nachgewiesen werden konnte.

Natürlich gehören auch solche nach Ansicht von Experten in bestimmten Milieus keineswegs seltene Fälle zu einer breit angelegten Integrationsdebatte. Dennoch führt der hektische Tonfall mancher Politiker, die von "Ausweisung" der gesamten Familie sprechen und sich medienwirksam über das Sorgerecht für den Jungen äußern, an den integrationspolitischen Kernfragen vorbei. Hier ist derzeit offenbar mehr Populismus als politische Vernunft im Spiel.

Überflüssige Debatte

Denn die Sorgerechts-Debatte erscheint überflüssig. Im deutschen Familienrecht hat das Wohl des Kindes absoluten Vorrang. Man darf deshalb unterstellen, dass kein deutsches Gericht ein Kind in die Obhut einer Familie geben würde, aus der - soviel ist gerichtlich immerhin festgestellt - der Mörder seiner eigenen Mutter stammt. Trotzdem springen zahlreiche Politiker jetzt auf die offenkundige Provokation der Familie Sürücü an und sprechen sich öffentlich gegen etwas aus, das ohnehin nicht passieren dürfte. Auch die Forderung nach Ausweisung der gesamten Familie ist Populismus. In Deutschland gibt es keine Sippenhaft. Juristisch ist es kaum möglich, eine ganze Familie auszuweisen, die schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebt und die ja auch nicht als Ganzes vor Gericht verurteilt worden ist.

Trugschluss

So genannte Ehrenmorde und Zwangsheiraten müssen gesetzlich streng geahndet werden, daran besteht kein Zweifel. Aber die derzeitige Debatte könnte leicht den Eindruck erwecken, als sei beides geradezu repräsentativ für die Mehrheit der Migranten - und als müsste der Staat nur hart genug durchgreifen, um integrationspolitisch Erfolge zu erzielen. Doch genau dies ist ein Trugschluss. Mit markigen Parolen bleiben Politiker zwar sicherlich länger im Gedächtnis ihrer Wähler als mit komplizierten Integrationskonzepten.

Dennoch sind genau solche Konzepte gefragt - und das nicht erst seit heute: Deutschland braucht langfristig angelegte Konzepte für frühkindliche Spracherziehung, es braucht aber auch Sprachkurse für erwachsene Zuwanderer und wirksame Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen mit Migrationshintergrund. Ganz zu schweigen von einem intelligenten und einheitlichen Einbürgerungstest, der Menschen willkommen heißt und trotzdem fair überprüft, ob sie sich auch an die Grundwerte der deutschen Verfassung halten wollen.