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Mandelas Ruhe ist Südafrikas Unruhe

Claus Stäcker15. Dezember 2013

Die beispiellose Trauer um Mandela hat der Welt die vereinende Kraft des großen Staatsmannes noch einmal vor Augen geführt - und den erschreckenden Niedergang seiner Partei, des ANC. Ein Kommentar von Claus Stäcker.

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Deutsche Welle Claus Stäcker
Claus Stäcker, Leiter der Afrika-Redaktionen der DWBild: DW

Gott sei Dank, möchte man sagen. Endlich hat Nelson Rolihlahla Mandela Ruhe. Ruhe, die ihm zeit seines Lebens nie vergönnt war. Die Beisetzung in der Heimatscholle von Qunu brachte einen zehntägigen Staatsakt würdevoll zu Ende. Zehn Tage Trauer, die die vereinende Kraft des großen Staatsmannes, die "Madiba Magic", noch einmal aller Welt vor Augen führte.

150.000 Menschen in langen Schlangen, die es sich nicht nehmen ließen, von der aufgebahrten Legende persönlich Abschied zu nehmen. Bilder voller Symbolik: weinende Männer mit weißer Haut, mühsam um Fassung ringende Soldaten, Menschen aller Couleur, die sich gegenseitig trösteten. Zehntausende an den Straßen, die noch eine letzte Sekunde mit dem Toten teilen wollten - einen Blick werfen auf den vorbeirasenden Konvoi.

Und die Abschiedsfeier in Qunu? Ein wenig chaotisch, ja. Ausgesperrte Anwohner, eine eigenwillige Sitzordnung, mit engen Freunden wie seinem Anwalt George Bizos auf hinteren Rängen. Die zweitgrößte Legende des Landes, Erzbischof Desmond Tutu, war offenbar zunächst gar nicht eingeladen. Selbst afrikanische Zeitlimits wurden überschritten: Gemäß der Thembu-Tradition hätte der Leichnam unter der Erde sein müssen, bevor die Sonne am höchsten steht. Der Herr wird vermutlich ein Auge zudrücken.

Letzte humorige Volte

Die teils dilettantische Vorbereitung der lange planbaren größten Beerdigung der Welt, die historische Lachnummer um den nun weltberühmten Gebärdendolmetscher Thamsanqa Jantjie, der vielleicht gar keiner war: Man könnte seine souveräne, aber sinnfreie Fuchtelei noch als letzte humorige Volte abhaken. Mandela lachte gern und setzte selbst gute Pointen. Doch der Vorfall zeigt symptomatisch, wie es um Nelson Mandelas Afrikanischen Nationalkongress (ANC) heute steht. Wie schaffte es der Scharlatan in die unmittelbare Nähe der Mächtigen der Welt? Eine Frage, die nicht nur den Sicherheitsdienst Barack Obamas beschäftigt. Immer öfter sind im Post-Apartheid-Südafrika politische Beziehungen für den Job entscheidender als Qualifikation.

So brachte Nelson Rolihlahla - "der Unruhestifter"- Mandela zwar noch einmal zusammen, was im Alltag nie zusammengehört: Amerikanisch-kubanisches Händeschütteln. Erbitterte politische Rivalen in der ANC-Regierungsallianz Seit an Seit. Die Skrupellosen neben den Ehrlichen. Aber es mag das letzte Mal gewesen sein, dass sie so anständig nebeneinander saßen. 20 Jahre nach dem epochalen Machtwechsel unter Mandela steht der ANC, wenn nicht vor der Spaltung, so doch vor einer beschleunigten Erosion.

Nie war die Unzufriedenheit der Bürger so groß. Der angeschlagene Präsident Jacob Zuma, dem der Trauer-Auftritt auf der Weltbühne zunächst in die Karten zu spielen schien, ist lädierter denn je. Gnadenlos buhten ihn seine Landsleute aus. Einer gewann dagegen an Kontur: ANC-Vize Cyril Ramaphosa als Zeremonien- und auch Zahlmeister der Trauerfeiern. Ihn hatte Mandela als Nachfolger auserkoren, scheiterte aber am Widerstand seiner Partei. Vielen gilt Ramaphosa seit langem als Hoffnungsträger, auch wenn er als einer der ANC-Multimillionäre beim einfachen Mann nicht gut ankommt.

Der ANC wird nicht bis "Christi Wiederkehr" regieren

Gelingt es, Präsident Zuma vor den Wahlen 2014 von einer erneuten Kandidatur abzubringen? Dann könnte Ramaphosas Stunde schlagen und das große Sozial- und Versöhnungsprojekt der Regenbogennation weitergehen. Andernfalls tun sich längst politische Alternativen auf. Vom Traditionalisten Zuma jedenfalls, das zeigen die vergangenen fünf Jahre überdeutlich, ist keine Besserung zu erwarten.

Aber Südafrika besteht nicht nur aus Zuma, auch das hat der bewegende Abschied der Millionen in den vergangenen zehn Tagen gezeigt. Die Welt sah eine Nation, die es vor Mandela nicht gab. An seinem Sarg fand sie sich wieder zusammen. Und die Geschichte zeigt, Völker sind stärker als jede Partei. Auch der ANC bekommt das von Wahl zu Wahl stärker zu spüren. Er wird nicht bis "Christi Wiederkehr" regieren, wie Zuma einmal tönte. Das ist das Wesen der Demokratie, für die Mandela einst zu sterben bereit war.