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Die selbstverschuldete Ohnmacht des Westens

Mudhoon Loay Kommentarbild App
Loay Mudhoon
15. August 2016

Die Lage der eingeschlossenen Menschen in Aleppo scheint zunehmend hoffnungslos. Es droht die größte humanitäre Katastrophe des Kriegs. Doch der Westen kann aus eigener Kraft daran kaum etwas ändern, meint Loay Mudhoon.

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Ein Mann schaut in einen Bombentrichter (Foto: picture alliance/AA/B. el Halebi)
Bild: Reuters/A. Ismail

Das überraschende Durchbrechen des Belagerungsrings um Ost-Aleppo vor zwei Wochen brachte keine nennenswerten Erleichterungen für die Zivilbevölkerung. Die Aufständischen haben dem Assad-Regime und seiner russischen Schutzmacht zwar eine Niederlage zugefügt. Aber in Aleppo sind weiterhin bis zu 300.000 Einwohner faktisch eingeschlossen. Die Versorgungslage ist dramatisch: 1,5 Millionen Menschen sind ohne Strom und sauberes Trinkwasser; es droht die größte humanitäre Katastrophe des Bürgerkriegs in Syrien.

Daher ist es zu begrüßen, wenn der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller Alarm schlägt und mehr Hilfe von der EU für die Kriegsopfer fordert. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier zieht die Versorgung der Bewohner Aleppos über eine Luftbrücke in Erwägung.

Preis der Untätigkeit

Mudhoon Loay (Foto: DW)
Loay Mudhoon, Nahost-Experte bei der Deutschen Welle, leitet das Dialogportal Qantara.de

Keine Frage: Diese Forderungen sind angesichts der neuen Dimension des Leidens wichtig und richtig. Aber sie zeigen zugleich, wie begrenzt die Einflussmöglichkeiten des Westens auf die aktuelle Entwicklung geworden sind.

Denn: Um die Not der belagerten Menschen spürbar zu lindern, wären mehrtätige Feuerpausen oder die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen nötig, insbesondere nachdem sich die Einrichtung von Fluchtkorridoren als eine Inszenierung seitens Russland und des Assad-Regimes entpuppte.

Doch mit diplomatischen Appellen alleine lassen sich diese Forderungen nicht durchsetzen. Und genau hier liegt das Dilemma. Oder deutlicher ausgedrückt: Das eigentliche Totalversagen des Westens liegt darin, dass die Entscheidungsträger in Washington und Brüssel sich dafür sehr früh entschieden haben, nicht militärisch in Syrien zu intervenieren und stattdessen "den Konflikt ausbluten zu lassen", wie es ein westlicher Diplomat zynisch ausdrückte.

Spätestens als sich abzeichnete, dass Baschar al-Assads Gewaltregime die ursprünglich friedliche Revolution in die Militarisierungsfalle laufen ließ und auf eine konfessionelle Spaltung der Gesellschaft hinarbeitete, hätte man die Opposition energischer unterstützen müssen, um zu verhindern, dass radikalislamistische Kräfte in das entstehende Machtvakuum vorstoßen.

Während Assad massive Unterstützung von Russland, Iran und den schiitischen Kräften im Libanon und dem Irak erhielt, haben die westlichen Mächte keine gemeinsame Syrienpolitik formulieren können. Durch diese Untätigkeit, vor allem durch die Verwässerung der "Rote-Linie-Doktrin" durch die Regierung Barack Obamas nach dem Giftgaseinsatz, verlor der Westen massiv an Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit in diesem Konflikt.

Königsmacher Putin

Was also tun? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Alles hängt vom politischen Willen Wladimir Putins ab. Mit seiner Intervention hat der russische Präsident vor einem Jahr das Blatt militärisch zugunsten Assads gewendet: Inzwischen konnte dessen Regime stabilisiert werden, auch mithilfe der libanesischen Hisbollah und schiitischer Milizen. Jedenfalls scheint eine politische Lösung für den komplexen Stellvertreter-Krieg in Syrien gegen den Willen Moskaus kaum vorstellbar.

Um Putin zum Einlenken zu bewegen, reichen diplomatische Appelle nicht aus. Denn der Kremlchef will Stärke demonstrieren, auch als Signal an den Westen im Hinblick auf die Ukraine. Und er verfolgt klare Ziele in Syrien - die Tragödie der Syrer und die massive Zerstörung ihres Landes interessieren ihn wenig.

Auch die Regionalmächte sind nicht in der Lage, entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf zu nehmen: Die arabischen Sunniten sind zu schwach und unfähig, ihre Regionalpolitik zu koordinieren. Die Türkei ist seit dem gescheiterten Putschversuch mit sich selbst beschäftigt und möchte ihre gerade reaktivierten Beziehungen zu Russland nicht gefährden. Auch deshalb schweigt Ankara zu den Massakern in Aleppo.

Erst wenn die US-Regierung ihren Kurs gegenüber Assad und seiner Schutzmacht in Moskau entscheidend ändert und ihre gespielte Machtlosigkeit ablegt, wird sich an der jetzigen Konfliktkonstellation etwas ändern.

Doch weil der Wahlkampf Amerikas Außenpolitik faktisch lähmt, dürfte Putin bis Ende des Jahres freie Hand in Syrien haben. Die Folgen seiner zynischen Politik werden wir in Europa zu spüren bekommen.

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