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Der Papst zwischen Moral und Barmherzigkeit

8. April 2016

"Amoris Laetitia" - Freude der Liebe" heißt das neue Lehrschreiben von Papst Franziskus. Keine Revolution der kirchlichen Morallehre, aber ein ganz neuer Tonfall aus Rom, meint Christoph Strack.

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Papst Franziskus Bischofssynode Messe
Papst Franziskus bei der Abschlussmesse der Familiensynode in Rom am 25. Oktober 2015Bild: Getty Images/AFP/A. Solaro

Nein, das ist keine Revolution, nein, das ist vielleicht nicht einmal ein großer Wurf. Und es ist ein doch langes Werk, das Zeit zur Lektüre verlangt. Papst Franziskus hat rund sechs Monate nach der mit so viel Spannung beobachteten Familiensynode im Vatikan, die Schwerpunkte der Synode dargelegt und macht dabei seine Akzente mehr als deutlich. In 325 Punkten, auf knapp 200 (im Italienischen) oder rund 300 (im Deutschen) Seiten. Ein geistlicher, oft biblisch geprägter Text.

Neuer päpstlicher Tonfall

Ja, es ist ein anderes Reden über Liebe, Partnerschaft und Familie, deren Schönheiten und Schwierigkeiten als bei Kirche üblich - und über eine falsch verstandene Moral. Eine Moral, die Franziskus als "kalte Schreibtisch-Moral" bezeichnet. Und, ja, der Papst schreibt ganz gelegentlich auch mal von "Sex" und "Erotik". Da schreibt ein nun 79-Jähriger ohne bekannte Beziehungserfahrung ziemlich gut und warmherzig nicht über alles, aber doch über manches.

Solch nachsynodale Schreiben hatte über viele Jahre den Hauch von "Ihr habt geredet - nun schreibe ich". Nach den Beratungen der Synoden gab eben der Papst seinen Kurs vor. Nun bemüht sich Franziskus, der sich so sehr als erster unter gleichen versteht, auch alle bei der Synode benannten Sorgen und Probleme wiederzugeben. Das gilt für die materielle Not vieler Familien nicht nur in den Ländern des Südens, für Bildungs- und Verkündigungsfragen und die Ehe-Seelsorge. Die ausführliche, oft geistlich gut unterlegte Abhandlung macht um so mehr deutlich, wie viel zu knapp ein Thema geschrammt wird, das auch die Synodalen auf keinen Fall mit Familie und Ehe vermengt haben wollten: der Umgang mit Homosexualität. Mehr als schade.

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph Strack ist Kirchenexperte der DWBild: DW

Und auch wenn Franziskus vielfach seine Vorgänger zitiert und sich so bewusst in die Tradition stellt - rund 20 der 300 Seiten sind völlig neu aus der Feder eines Papstes. 20 Seiten, die es in sich haben.

Das Lehramt muss nicht alles entscheiden

Gleich zu Beginn zitiert Franziskus einen seiner großen, menschennahen Leitsätze, "dass die Zeit mehr wert ist als der Raum". Das bedeute, "dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen". Wow. Und: "Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen". Noch einmal: Wow.

Diesen einleitenden Passagen folgen Worte zu sogenannten "irregulären" Situationen, bei denen die kirchliche Lehre bisher ausgrenzt. Da geht es vor allem um Ehepaare ohne kirchlichen Segen und "Geschiedene in einer neuen Verbindung". Man könne - so Franziskus - von diesem Schreiben "keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art" erwarten. Aber er ermuntert die Seelsorger, Wege zu suchen. Denn man könne doch nicht mehr behaupten, dass all diese Personen "sich in einem Zustand der Todsünde" befinden. Das große Franziskus-Wort der "Barmherzigkeit" findet hier seinen Platz. Ein wahrer Hirte dürfe sich nicht mit der Anwendung moralischer Gesetze zufriedengeben. "In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade", schreibt Franziskus.

Die Dikussionen gehen weiter

Seit Ostern gibt es ein regelrechtes Trommelfeuer von Warnungen. Moderate und erst recht streng-konservative Kirchenmänner warnten, mahnten und forderten: die Lehre Christi zu wahren oder das nun vorliegende Papstschreiben falsch zu verstehen. Da freute sich im Ergebnis keiner mehr auf das Papier aus Rom. Es herrschte Angst. Zum Teil Angst vor der eigenen Courage. Franziskus hat sich von dieser Angst nicht anstecken lassen. Wie schön.

Der Papst - was ja auch nicht wirklich zu erwarten war - ruft nicht auf zur Revolution. Aber er öffnet Fenster, lässt etwas frische Luft herein. Der Blick auf das Thema Homosexualität, bei dem Franziskus mit seiner offenen Art beeindruckt, zeigt, dass längst nicht alles bedacht ist. Franziskus und die Kirche haben sich einem Reform-Thema gestellt. Nun hat der Papst den offiziellen synodalen Teil vorerst beendet - aber die Debatte muss in seinen Augen viel mutiger weiter gehen.

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