Deutsch ist bisweilen eine vertrackte Sprache. Zum Beispiel, was den Gebrauch des Genitivs angeht. Grammatiker unterscheiden den Genitivus subjektivus und den Genitivus objektivus. Man muss sich die Mühe der nicht ganz einfachen Unterscheidung machen, um die Sprachspiele des AfD-Politikers Björn Höcke bei seinem Auftritt auf einer AfD-Veranstaltung am Dienstag in Dresden angemessen zu verstehen.
Das Wort vom "Denkmal der Schande", als das er das Holocaust-Mahnmal in Berlin bezeichnete, ist mehrdeutig. Zum einen kann es bedeuten, dass der historischen Schande - dem Jahrhundertverbrechen des Holocaust - ein Gedenkort gesetzt worden ist. Das wäre die Lesart des Genetivus objectivus - und zugleich die politisch völlig unproblematische. Die andere Lesart hingegen, die des Genetivus subjectivus, wäre hingegen die, der zufolge die Existenz des Denkmals selbst eine Schande ist. Das wäre eine mindestens rechtsradikale, wenn nicht rechtsextreme Position.
Von wegen bösartige Interpretation
Eine solche Lesart klingt bei einem wie Höcke unüberhörbar durch - auch wenn er inzwischen behauptet, eine derartige Vermutung sei eine "bösartige und bewusst verleumdende Interpretation".
Hat man also Höcke böswillig die Worte im Munde verdreht? Seine Rede, im Netz in Gänze nachhörbar, legt anderes nahe. So etwa ist die Neuausrichtung Deutschlands nach 1945 für ihn eine "Umerziehung". O-Ton Höcke: "Deutsche Opfer gab es nicht mehr, sondern es gab nur noch deutsche Täter. Bis heute sind wir nicht in der Lage, unsere eigenen Opfer zu betrauern." Dies, so Höcke weiter, habe Folgen bis heute: "Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes."
Mit diesen Aussagen verortet sich Höcke sehr weit am rechten Rand des politischen Spektrums. Das tut er als Mitglied einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, zum demokratischen Spektrum des Landes zu gehören. Wohl auch dank dieses Images fuhr sie bei den fünf Landtagswahlen des Jahres 2016 beachtliche Erfolge ein. Dort kam sie auf Stimmenanteile zwischen zwölf und 24 Prozent.
Die Wurzeln des Erfolgs der AfD
Man darf annehmen, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Stimmen auf den Umstand zurückgeht, dass die AfD - sieht man von der allein in Bayern wählbaren CSU ab - als einzige nennenswerte Partei deutliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel übte. Im Bundestag hingegen standen die Entscheidungen der Regierung so gut wie überhaupt nicht zur Diskussion. Das mag teils gute Gründe haben: Mit Menschen muss man behutsam umgehen.
Trotzdem sehen sich bis heute sehr viele Bürger, die gegenüber dieser Politik Bedenken haben, mit ihrer Skepsis alleingelassen. Ausnahmslos alle Parteien, die in der Regierung ebenso wie die in der Opposition (die bereits erwähnte CSU ausgenommen, die allerdings in der Regierung sitzt), begrüßten die Flüchtlingspolitik. Eine solche Einhelligkeit hat es im Bundestag lange nicht gegeben: Die Diskussion einer der für Deutschland zentralen politischen Fragen fand im Parlament schlicht nicht statt. Das empfinden Skeptiker der Flüchtlingspolitik durchaus als beunruhigend - sowohl, was die Sachfragen selbst angeht, als auch den Umstand, dass die Diskussion als solche ausblieb.
Legitime Fragen versus rechtsradikale Stimmungsmache
In ihrer Not wählten viele dieser Skeptiker die AfD. Durch sie wollen sie ihre Bedenken in den Landtagen - und ab dem Herbst nach allen Umfragen auch im Bundestag - vertreten und artikuliert sehen. Mit diesem Wunsch nach einer offenen Debatte verfolgten sie ein legitimes politisches Anliegen, ja mehr noch: eines, das geradezu zu den Voraussetzungen einer lebendigen parlamentarischen Demokratie zählt.
Das heißt allerdings nicht, dass diese Skeptiker auch rechtsradikale Positionen gut heißen, wie sie die AfD zu Teilen ganz offenbar vertritt. Legitime Fragen zur Flüchtlingspolitik zu stellen - etwa die nach der Integrationsfähigkeit des Landes, nach der künftigen Rolle der Religion im Öffentlichen Leben, nach dem künftigen Verhältnis der Geschlechter - ist etwas ganz anderes, als sich für rechtslastiges Gedankengut zu erwärmen. Die AfD hält Meinungen wie die von Höcke offenbar für anschlussfähig an den Mehrheitswillen. Daran kann man zweifeln. Denn rechtsradikale Untertöne wurden auch in schwierigen Zeiten in der Bundesrepublik vom Wähler bisher souverän abgestraft.
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