Kein Verhandlungs-Wunder in Paris
9. Dezember 2015"Wir haben Fortschritt in vielen Fragen erzielt", so verkündete Laurent Fabius für die französische Präsidentschaft am Mittwochabend. Allerdings blieben drei große Querschnittsthemen ungeklärt: Die Feststellung der unterschiedlichen Pflichten, die Finanzierung und die Festlegung des Klimaziels. Um die Einigung voranzutreiben verordnet er eine Nachtschicht im "Indaba"-Format, das bei der Klimakonferenz von Durban erfolgreich war.
Unter Leitung der von ihm eingesetzten Vermittler sollen an einer Art virtuellem Lagerfeuer kleinere Gruppendiskussionen zur Annäherung in den strittigsten Fragen stattfinden. Immerhin gab Laurent Fabius vorher großzügig eine halbe Stunde Essenspause.
Jetzt kommt der Teppichhandel
Der Druck wächst bei den Verhandlungen: Die Präsidentschaft will bis Donnerstagnachmittag einen weitgehend kompromissfähigen Entwurf vorlegen. Das ist sehr ehrgeizig, denn nicht alle Reaktionen von den Führern der Verhandlungsgruppen waren ermutigend. Eine Sprecherin Südafrikas, das den Vorsitz in der großen Gruppe der 77 führt, bemängelte die ihrer Meinung nach weiter ungenügende Finanzierung. Diese Gruppe, zu der tatsächlich rund 130 Staaten und neben armen Entwicklungsländern auch aufsteigende Riesen wie China und Brasilien gehören, will von den Industrieländern für die Anpassung an den Klimawandel mehr Geld. Schon diese Kritik zeigt, dass derzeit noch nicht mit einem "Wunder von Paris" zu rechnen ist im Sinne eines schnellen und erfolgreichen Abschlusses der Gespräche.
Saudi-Arabien, das von vornherein als einer der größten Blockierer auf dieser Konferenz galt, möchte einige der Klauseln aus dem Textentwurf auf einen früheren Stand zurückdrehen. Man könne kein Ziel unterstützen, das die eigene nachhaltige Entwicklung und die Beseitigung der Armut in Gefahr bringe. Aus der gleichen Verhandlungsgruppe der sogenannten "gleichgesinnten Staaten" machten auch Malaysia und Venezuela ihren Widerstand gegen ein allzu ehrgeiziges Abkommen deutlich. Dabei führen diese Schwellenländer besonders gern die Armutsbekämpfung als Argument gegen Klimaschutz an, was dann glaubwürdiger wirkt, wenn es vom Vertreter Indiens kommt. Am Ende der Reaktionsrunde ist der anfängliche Optimismus etwas abgeklungen.
Wie geht es weiter?
Ziel der Verhandlungen in den nächsten zwölf Stunden ist, den Teilwiderstand dieser Länder und Verhandlungsgruppen Schritt für Schritt durch einen Mix von Zugeständnissen und Gegengeschäften zu überwinden, und gleichzeitig die Balance zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern halbwegs zu wahren.
Der Entwurf ist inzwischen auf 29 Seiten herunter geschrumpft, drei Viertel aller Streitpunkte sei bereinigt, betonte Laurent Fabius. In den großen Fragen aber findet sich weiter eine Ansammlung von Textoptionen und variablen Formulierungen: Müssten, sollten oder könnten sich Schwellenländer künftig an den Kosten des Klimawandels beteiligen? In der Wahl eines Wortes liegt in dieser Frage der Unterschied zwischen einer Verpflichtung und einer reinen Kann-Bestimmung. Und viel Arbeit ist insbesondere noch bei den Regelungen darüber zu leisten, wie die Fortschritte der Länder gemessen und bewertet werden und wie sie an die reale Klimaentwicklung in kommenden Jahren angepasst werden sollen.
Die Koalition der besonders Ehrgeizigen
Am frühen Abend hatte dann eine neue Allianz versucht, der Sache einen Schub nach vorn zu geben."Kleine und große, reiche und arme Länder vereinen ihre Stimmen in dieser Koalition der besonders Ehrgeizigen", erklärte Tony de Brum, Außenminister der Marshallinseln. Sie gehören zur Gruppe der meist betroffenen Länder, die von Anfang an für ein Klimaziel von 1,5 Grad maximaler Erderwärmung gekämpft hatten. "Wir wollen kein Minimalabkommen", betont de Brum, sondern einen ehrgeizigen Mechanismus mit einer Anpassung alle fünf Jahre, und bis dahin sei der Weg noch weit. Auch EU-Klimakommissar Miguel Canete hält den am Mittwoch vorgelegten Zwischenstand des Verhandlungstextes für "nicht kühn" genug. Aber man werde das Ziel noch erreichen.
Tatsächlich bringt diese Koalition über 90 Länder mit den verschiedensten Interessen zusammen: Dazu gehören Kolumbien, Gambia, Mexiko, Deutschland und Norwegen, sowie Angola, das den Vorsitz in der Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer führt. Überraschend aber ist die Mitgliedschaft der USA, für die Außenminister John Kerry bereits am Nachmittag ein flammendes Plädoyer gehalten hatte:"Hier und jetzt in Paris haben wir die äußerst seltene Möglichkeit, die Welt zu verändern". Man blicke der Klima-Katastrophe ins Auge, und angesichts dessen sei ein Scheitern in Paris unentschuldbar. "Wir brauchen das 1,5-Grad-Ziel im Text, und wir brauchen hier wirklich großen Ehrgeiz", fügte der Chef-Unterhändler Todd Stern noch hinzu. "Jetzt ist unser Augenblick, wir müssen das Meiste daraus machen". Ein so starkes Signal hat es seitens der USA bei Klimaverhandlungen noch nie gegeben.
Viele offene Fragen im Zwischenstand der Verhandlungen
Der neue Textentwurf wird bei den NGOs unterschiedlich, aber einigermaßen positiv aufgenommen. "Ein ambitioniertes Abkommen ist noch auf dem Tisch", sagt Lutz Weischer von Germanwatch. So stünden etwa Begriffe wie Dekarbonisierung und Null-Emissionen, die als besonders umstritten galten, nach wie vor im Textentwurf. Als positiv wertet er weiter, dass die Industrieländer bei der Finanzierung der Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in die Pflicht genommen werden sollen.
Auch Jennifer Morgan vom World Resources Institute ist vorsichtig optimistisch: "Fast alles, was wir brauchen steht immer noch im Text, aber jetzt muss sehr viel Arbeit geleistet werden". Denn die Details und die Präzision in diesem Text seien wirklich wichtig. Bei der Finanzierung hätten die EU und die USA sich bewegt, strittig sei dagegen noch die Überprüfung und Erhöhung der nötigen Finanzmittel ab 2020. Und offen seien ebenfalls die Formulierungen zur Berichtspflicht der Länder und zur Überprüfbarkeit, den Punkten mit denen der Wert des Klimaabkommens am Ende steht und fällt.