Wallfahrt zur Madonna
22. August 2007Ungewöhnlicher Andrang herrscht vor der Schmuckmadonna im Kölner Dom, wo seit dem 17. Jahrhundert Gläubige die Hilfe der Mutter Gottes erbeten und ihr Gaben darbringen. Im Schein der vielen Kerzen warten die Menschen ruhig in der Schlange, um den Segen der Priester zu erhalten. Da die Statue in einem Glaskasten verborgen ist, werden die Steinplatten rechts und links berührt. Körbe mit Decken und anderen Waren werden über die Köpfe der Menschen nach vorne gereicht.
Kleider und Tiere für die Mutter Gottes
Tausende von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, hauptsächlich aus dem Kosovo, sind gekommen, um zu Mariä Himmelfahrt die Hilfe der Mutter Gottes zu erbitten. Sie nennen sich selbst "Zigeuner" und möchten nicht als Sinti und Roma bezeichnet werden. Bereits seit fünf oder sechs Jahren kommen sie an diesem Tag hierher. Die Zigeuner standen irgendwann einfach vor der Tür, erzählt Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie hätten zu ihrem früheren Marienwallfahrtsort in Jugoslawien wegen des Krieges nicht mehr pilgern können.
"Dann haben sie sich überlegt, dass die Kölner Schmuckmadonna der adäquate Ersatz ist", berichtet Schock-Werner. "Sie bringen ganz viele Kleider, Wolldecken und ähnliche Dinge mit, manchmal sogar lebende Tiere. Diese schenken sie der Madonna für ihre Reise in den Himmel." Der Andrang habe die Kölner zuerst ein wenig überrollt, inzwischen sei es etwas besser geregelt.
Mit großen Erwartungen zur Madonna
Die beiden Priester und ihre Helfer haben alle Hände voll zu tun. Die Zigeuner bringen viele Gaben und kommen mit persönlichen Fürbitten und großen Erwartungen zur Madonna. "Alle kommen", sagt eine Frau auf Albanisch, "jeder für sich. Für einen guten Zweck. Ich komme zum ersten Mal mit meinem Bruder her, der nicht sprechen kann. Hoffentlich, so Gott will, hilft sie allen und meinem Bruder auch."
Manche streichen mit dem Portemonnaie über den Marmor neben der Madonna, damit es für immer gefüllt sei. Sie legen Kinderkleidung vor die Statue, damit der Kinderwunsch in Erfüllung geht, oder Kleider von Kranken, damit diese geheilt werden. Andere bringen das Behörden-Dokument mit ihrer Duldung in Deutschland mit, in der Hoffnung, dass durch die Hilfe der heiligen Jungfrau daraus eine Aufenthaltsberechtigung werden möge.
Religiosität ohne Kirche
Man könne grundsätzlich nicht sagen, dass die Zigeuner entweder katholisch, evangelisch, orthodox oder Muslime seien, erklärt der katholische Priester Jan Opiella, Beauftragter für Sinti und Roma im Erzbistum Köln und Trier. Sie hätten über die Jahrhunderte bei ihren Wanderungen immer die Religion des jeweiligen Herrschers angenommen. "Und Religiosität oder Religion, oder der Ausdruck auf Gott oder auf Maria hin, ist immer eine Bewegung innerhalb der Familie", ergänzt Opiella. "Man geht nicht zu einer Kirche, man braucht keinen Priester oder einen Popen, sondern man geht mit der Familiengruppe zum Heiligtum und bringt seine Gaben. Hier ist es für die Frau Maria und ihr Kind. Man bringt Wäsche, Haushaltsgegenstände, Öl, Mehl, Kinderkleidung und so weiter, und betet selber."
Das mütterliche Antlitz Gottes wird bei allen Zigeunern verehrt. Aus den tiefen religiösen Wurzeln des indischen Raumes, aus dem die Zigeuner stammen, hätten sie ein Mutterbild mitbekommen, das sie in Maria wieder fänden, erklärt der Priester. "Der Tag der Mutter Maria ist ein froher Festtag", sagt eine Zigeunerin. "Man kommt, um Krankheiten zu heilen und Wohlstand zu sichern oder warum auch immer. Es ist ein großer Tag, für alle Menschen guten Willens, nicht nur für Muslime, oder für Katholiken, er ist für alle Völker und Religionen, die auf der Welt existieren."
Mischung islamischer und katholischer Elemente
In der katholischen Umgebung des Kölner Doms wirkt die Marienverehrung der Zigeuner oft eigentümlich, beschreibt der Priester Jan Opiella: "Manche sind jetzt vor dieser Muttergottesstatue in die Knie gegangen und haben dieselben Bewegungen gemacht, wie wir sie aus der Moschee her kennen: Zum Gebet den Oberkörper senken und wieder aufrichten, die Hände in die Höhe heben und dann sich von diesem Gnadenbild rückwärts fortzubewegen." Islamische und katholische Elemente finden sich übrigens auch in der Malerei der muslimisch geprägten Zigeuner, wo arabische Schriftzeichen zusammen mit der Mutter Maria auftreten.
Opiella schätzt, dass unter den Wallfahrern etwa 80 Prozent Muslime, 15 Prozent Orthodoxe und 5 Prozent katholisch sind. Aber der Festtag Mariä Himmelfahrt ist in der ganzen Welt der Zigeuner bekannt. Im südlichen Teil Ex-Jugoslawiens haben sie ihn traditionell zusammen mit den slawischen Christen in den Klöstern von Letnica und Gracanica im Kosovo begangen. Der Besuch der christlichen Heiligtümer durch Muslime und umgekehrt ist ein bekanntes Phänomen auf dem Balkan.
Wallfahrer kommen aus allen Ecken Deutschlands
Was sich seit einigen Jahren im Kölner Dom abspielt, ist die Fortsetzung davon. Viele Zigeuner haben sich nach der Flucht auch protestantischen Freikirchen angeschlossen. Die Flüchtlinge seien mittlerweile staatenlos, berichtet Opiella. "Die Nachfolgestaaten stellen ihnen keine Pässe mehr aus. Man sagt den Flüchtlingen, sie seien nicht in den Melderegistern oder auf Standesämtern verzeichnet."
Da sie in Deutschland eine Duldung hätten, könnten Sie nicht mehr zu ihren bisherigen Heiligtümern, erklärt der Priester. "Die ganze Gruppe von gut 2000, die da gekommen sind, sind alle staatenlos. Wir haben Leute aus Bremen gehabt, aus Münster, aus dem Siegerland, man könnte sagen, aus allen Ecken Deutschlands kommen sie extra zu diesem Tag zusammen."