"Die Politik hat endlich begriffen"
17. Januar 2020Das neue Gesetz gegen Kindesmissbrauch stößt bei Kinderrechtsorganisationen größtenteils auf Zustimmung. "Auch die Politik versteht endlich die gigantischen Dimensionen der Kinderpornografie im Netz", sagt Julia von Weiler von "Innocence in Danger" in Berlin. Die Gesetzesänderungen seien ein richtiges, wichtiges und positives Signal."
Für die Diplom-Psychologin sind die Beschlüsse des Bundestags eine Antwort auf den massenhaften Kindesmissbrauch von Lügde und Bergisch Gladbach: "Die Politik hat endlich begriffen, auch weil sie es jetzt musste."
Wenn Erwachsene im Internet Kontakt zu Minderjährigen aufnehmen mit dem Ziel des möglichen Missbrauchs, heißt das "Cybergrooming". Bisher war es nicht strafbar, wenn eine Person mit einem erwachsenen Lockvogel - etwa einem Polizeibeamten oder einem Elternteil - chattete, der sich als Kind ausgab. Nun hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das schon den Versuch unter Strafe stellt, sexuelle Kontakte zu Kindern im Internet anzubahnen. Dafür stimmten die Regierungsfraktionen SPD und Union sowie die AfD.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) begrüßte die Entscheidung des Bundestages, die Kontaktaufnahme sei eine Vorstufe zum sexuellen Kindesmissbrauch: "Die Täter handeln in der gleichen schrecklichen Absicht, das Vertrauen eines Kindes für eine spätere Missbrauchstat zu gewinnen."
"Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz"
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) fordert neben der besseren Strafverfolgung auch mehr Prävention und verweist auf das neue Jugendmedienschutzgesetz, das noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll: "Mit dem Gesetz verpflichten wir Anbieter, ausreichend Vorkehrungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu treffen. Das können Voreinstellungen sein, so dass Kinder nicht angechattet werden können oder einfache Meldesysteme, wenn Kinder verstörende Situationen im Netz erleben."
Auch die Alterskennzeichnung werde mit diesem Gesetz vereinheitlicht. Außerdem plant Giffey, eine "Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz" zu gründen. "Und wer sich weigert, Vorkehrungen zu treffen, muss mit empfindlichen Strafzahlungen rechnen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen braucht klare Regeln und deren konsequente Durchsetzung", so die deutsche Familienministerin.
Ermittler dürfen sich "einschleichen"
Außerdem sollen sich laut Gesetzesänderung verdeckte Ermittler künftig mit künstlich erzeugten Videos und Fotos von sexuellem Kindesmissbrauch in Internetforen einschleichen dürfen. Hintergrund ist, dass für den Zugang zu solchen Portalen oft als Vertrauensbeweis verlangt wird, selbst entsprechende Bilder und Videos hochzuladen. Dies wird "Keuschheitsprobe" genannt. Hier war für die Ermittler bisher Schluss, da sie dazu selbst eine Straftat hätten begehen müssen. Diesen Teil des Gesetzes verabschiedete das Parlament einstimmig.
Wenn sich die Taten nicht anders aufklären lassen, soll es künftig erlaubt sein, solche Videos und Fotos am Computer herzustellen und mit Zustimmung eines Gerichts zu veröffentlichen. Dabei dürfen aber keinerlei Abbildungen von echten Kindern verwendet werden.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, warb für die Pläne. Wenn sich Ermittler mit künstlichen Missbrauchsvideos Zugang zu Internetforen verschafften, bewegten sie sich zwar an der Grenze des Rechtsstaats. "Aber wir sollten uns dieser Möglichkeit der Verbrechensbekämpfung nicht berauben", betonte Rörig.
Bundesjustizministerin Lambrecht erinnerte daran, dass hinter kinderpornografischen Bildern schreckliche Missbrauchstaten an Kindern stünden und der Missbrauch manchmal noch andauere: "Ich will den Ermittlern alle rechtsstaatlich zulässigen Instrumente an die Hand geben, damit die Täter, aber auch die Hintermänner und Portalbetreiber schnell ermittelt und verurteilt werden können."
Umdenken in der Politik
Julia von Weiler von "Innocence in Danger" will mehr: "Die Verschärfung ist das eine, wir müssen aber auch die ermittelnden Behörden, also Staatsanwaltschaft und Gerichte, adäquat personell und materiell ausstatten", fordert sie.
Zudem müsste parallel die psychosoziale Versorgung von Mädchen und Jungen endlich flächendeckend gewährleistet werden. Die Opfer bräuchten dringend kompetente Ansprechpartner.
Von Weiler glaubt zwar, dass die Täter in Zukunft ein wenig ängstlicher agieren werden, rechnet aber angesichts des riesigen Netzwerkes nicht mit sehr großen Ermittlungserfolgen: "Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ist immer noch relativ gering. Die Täter und Täterinnen wissen, es gibt sehr wenige Beamte, die ihnen auf den Fersen sind."
Wichtig sei aber vor allem, dass zum Beispiel die Arbeit ihrer Organisation nicht mehr wie noch vor ein paar Jahren allseits belächelt werde, sondern ein Umdenken in Gesellschaft und Politik stattgefunden habe, so von Weiler: "Wir müssen verstehen, dass bei jedem sexuellen Missbrauch Fotos und Videos gemacht werden können. Und das verändert alles!"