Kiew und Moskau vor einem Neuanfang
19. März 2005Seit den letzten Kiew-Besuchen des russischen Präsidenten Putin haben sich die politischen Verhältnisse in der Ukraine stark verändert. Denn aus den Wahlen Ende 2004 ging nicht der vom Kreml unterstützte Kandidat der Macht, Viktor Janukowitsch, als Sieger hervor. Gestützt auf eine Volksbewegung, die tapfer wochenlang gegen Wahlmanipulationen protestierte, setzte sich der Oppositionskandidat Viktor Juschtschenko durch. Dieser verkörperte nicht nur eine demokratische Alternative zum korrupten und autoritären Vorgänger-Regime. Viele sahen den Sieg Juschtschenkos als Fortsetzung der friedlichen Revolutionen von 1989. Im Einklang damit forderte er auch sogleich eine europäische -sprich EU-Beitritts- Perspektive für sein Land.
Russische Interessenslage
Insbesondere in einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine sah und sieht der Kreml eine Gefahr für seine eigenen Interessen. Bei der Unterstützung Janukowitschs ging es Putin nicht per se um den Erhalt eines Oligarchen-Regimes in der Ukraine. Vielmehr wollte der Kreml seinen Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine sichern: Das geopolitische Abdriften der Ukraine - von Russland weg, hin zur Europäischen Union - ist die Hauptsorge der russischen Außenpolitik. Der Sieg Juschtschenkos wurde durch das PR-Desaster des Kremls noch verschärft: Faktisch wirkte Putins Einmischung in die ukrainischen Wahlen als eine anti-demokratische Außenpolitik, gleichsam wie der Export seiner eigenen, als autoritär gebrandmarkten, Innenpolitik. Das Ergebnis hätte für Putin nicht unerfreulicher sein können.
Langsam legt sich aber der Staub der "Orange Revolution" und die neuen Realitäten werden sichtbar. Juschtschenkos Werben um eine Beitrittsperspektive ist in den EU-Staaten nicht nur auf offene Ohren gestoßen. Selbst Befürworter einer EU-Ukraine sagen, dass es sich um eine Frage von mehreren Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten handelt. Der Pragmatiker Juschtschenko weiß daher, dass er auf absehbare Zeit gute Beziehungen zu Russland benötigt.
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Enge Verflechtungen
Eine radikale Abkehr der Ukraine von Russland ist aufgrund der zahlreichen engen kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Verflechtung beider Staaten mittelfristig nicht möglich. Gründe gibt es viele - angefangen von der russischen Minderheit im Osten der Ukraine über die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim bis hin zu dem für die Ukraine wichtigen Handelsaustausch mit Russland; und ganz zu schweigen von der Abhängigkeit der Ukraine von russischen Öl- und Gaslieferungen.
Juschtschenko dürfte zwar in nächster Zeit versuchen, seinen Freiraum etwas zu vergrößern: Beispielsweise durch neue Vertragsbedingungen für die Gaslieferungen aus Turkmenistan oder zusammen mit dem georgischen Präsidenten Saakaschwili durch die Wiederbelebung der GUUAM-Organisation. Ebenso dürfte die von Russland favorisierte wirtschaftliche Integration von Russland, der Ukraine, Weißrussland und Kasachstan in einem Gemeinsamen Wirtschaftsraum gestoppt sein oder zumindest ohne die Ukraine stattfinden. Eine gleichzeitige Integration der Ukraine in russisch dominierte Strukturen und eine Annäherung an die Europäische Union widerspricht sich. Das sind jedoch langfristige Tendenzen. Bei dem Treffen in Kiew mahnte Putin, man dürfe nicht "hinter die erreichte Qualität der Beziehungen zurückfallen." Juschtschenko sagte, hinter beiden Ländern bestehe "eine alte strategische Partnerschaft."