Wahlkampf ohne Europa
4. August 2012Im Unterschied zu den Präsidentschaftswahlen 2010, als noch alle Kandidaten den Ukrainern eine schnelle Annäherung an die Europäische Union versprochen hatten, kommt das einst so beliebte Thema der europäischen Integration in den Slogans der Parteien und Kandidaten im jetzigen Parlamentswahlkampf, der offiziell am 30. Juli 2012 begonnen hat, praktisch gar nicht mehr vor - nicht einmal bei den Vertretern des traditionell pro-westlichen "orangenen Lagers".
Ein Teil der "Orangenen" hat sich inzwischen für die Parlamentswahl am 28. Oktober 2012 mit anderen Parteien zur "Vereinigten Opposition" zusammengeschlossen. Das Bündnis macht vor allem mit Kritik an der jetzigen Staatsführung Wahlkampf. Sie werfen der Regierung politische Repressionen und Verstöße gegen die Rechte und Freiheiten der Bürger vor. Die "Vereinigte Opposition" fordert den Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch und seiner Regierung. Dem oppositionellen Bündnis gehören die Partei der inhaftierten ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko "Vaterland", die Partei des ehemaligen Außenministers Arsenij Jazenjuk, "Front der Veränderungen", sowie mehrere kleinere Parteien an.
Opposition: Europathemen nicht notwendig
Nach wie vor sei die europäische Integration für die "Vereinigte Opposition" ein wichtiges Thema, versichert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende des "Blocks Julia Timoschenko", Sergej Sobolew, im Gespräch mit der DW. Pro-europäische Slogans seien im Wahlkampf aber nicht notwendig, da das Programm der Opposition europäische Werte wie Demokratie, Meinungsfreiheit und freies Unternehmertum widerspiegeln würde.
Die ukrainische Politwissenschaftlerin Swetlana Konontschuk meint allerdings, die Opposition halte sich nur aus taktischen Gründen mit pro-europäischen Slogans zurück. Für die Opposition lohne es sich nicht, mit Europathemen Wahlkampf zu machen. Denn die Staatsführung sei hier im Vorteil, angesichts des Erfolgs der Fußball-Europameisterschaft 2012 sowie der Fortschritte bei der Liberalisierung der Visa-Bestimmungen mit der EU. Tatsächlich wird auf Wahlplakaten der Partei der Regionen unter anderem die Veranstaltung der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine als Erfolg der Regierung verkauft.
Verhältnis zwischen Kiew und Brüssel bleibt schwierig
Warum Europa als Wahlkampfthema in der Ukraine heute wenig geeignet ist, hat laut Susan Stewart von der Berliner Stiftung "Wissenschaft und Politik" konkrete Gründe: Eine EU-Integration der Ukraine könne nicht als "etwas in absehbarer Zeit Machbares" dargestellt werden. Die Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel seien schwierig, vor allem wegen der Inhaftierung von Julia Timoschenko und anderen oppositionellen Politikern. "Seit Janukowitschs Machtübernahme stellt die EU fest, dass es zu großen Rückschritten in den Bereichen Demokratie und Rechtstaatlichkeit gekommen ist", sagt Stewart im Gespräch mit der DW.
Brüssel sei enttäuscht und das spüre man auch in der Ukraine, meint die Expertin. Andererseits sei aber auch die EU derzeit bei den Ukrainern nicht besonders beliebt. "Sie wird weniger attraktiv durch die Euro-Krise. Die EU hat massive Wirtschaftsprobleme und es ist nicht klar, wie und wann sie diese Probleme lösen wird."
Ukrainer zunehmend gegen EU-Beitritt
Dass eine EU-Annäherung in absehbarer Zeit utopisch bleibt, ist anscheinend auch den ukrainischen Wählern klar. Laut dem DW-Trend vom Juni 2012 bewerten nur noch 15 Prozent der Befragten das Verhältnis zwischen ihrem Land und der EU als freundschaftlich oder partnerschaftlich. Trotzdem sind die Ukrainer mit 54 Prozent weiter mehrheitlich für einen EU-Beitritt ihres Landes. Allerdings ist der Anteil der Gegner im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 29 Prozent antworten inzwischen mit "Nein" auf die Frage, ob die Ukraine Mitglied der EU werden soll. Das ist ein Zuwachs von elf Prozent gegenüber der DW-Umfrage vom April 2011.
Die inkonsequente Außenpolitik Kiews habe zu diesem Trend geführt, glaubt die ukrainische Politologin Swetlana Konontschuk. "Einerseits unterzeichnet die Regierung Vereinbarungen mit der EU und andererseits unterstützt sie anti-europäische und pro-eurasische Informationskampagnen", klagt die Expertin. Dem stimmt der Leiter der Vertretung der Heinrich-Böll-Stiftung in der Ukraine, Kyril Savin, zu. Ihm zufolge denken viele ukrainische Bürger, dass ihre Regierung noch weit entfernt von europäischen Werten sei.