Kann denn (Computer)spielen schädlich sein?
23. August 2018Deutsche Welle: Professor Müller-Lietzkow, Sie befinden sich gerade auf der Gamescom. Nun habe ich Sie im Autorennensimulator gestört – wie gerne möchten Sie sich jetzt mit mir über Computerspielsucht unterhalten?
Müller-Lietzkow: Immer gerne. Digitale Spiele sind meine Leidenschaft, mein Forschungsfeld und etwas, wofür ich eigentlich immer brenne, aus verschiedensten Perspektiven – auch politisch.
Umso besser. Die WHO hat die Computerspielsucht als "Gaming disorder" nun offiziell als eigenständige und behandlungsbedürftige Erkrankung anerkannt. Was meinen Sie, ist das der richtige Schritt?
Nein! und Ja! Global betrachtet haben wir in Asien eine zunehmende Zahl von Menschen, die sich nur schwer vom Spielen lösen können. Da kann man die Lage sicherlich als "kritisch" bezeichnen. Hierzulande dagegen schwanken die Studien, die noch dazu normativ geprägt sind. Sprich: Asien lässt sich eigentlich nicht mit Deutschland vergleichen – und trotzdem wird beides in Verbindung gebracht.
Aus der globalen Perspektive ist der Schritt also absolut richtig. Denn wir müssen uns darüber Gedanken machen – wenn das Spielen so stark auftritt – wie man helfen kann. Auch in Hinblick auf die Krankenkassen ist das wichtig, um notwendige Therapien zu finanzieren.
Und womit haben sie ein Problem?
Mit der Frage der Bewertung. Sprich: Wenn jemand so und so lange spielt, ist er gleich abhängig. Ich finde, wenn jemand – sagen wir – acht Stunden pro Tag spielt, und das macht er in den Sommerferien auch mal sechs Wochen am Stück – dann ist er nicht gleich abhängig. Stellt man dies aber pauschal als pathologisch dar, kommt man natürlich in einen kritischen Bereich.
Acht Stunden Zocken pro Tag ist für Sie also noch kein Suchtkriterium. Aber was dann...?
Genau, denn an Stunden würde ich es nie festmachen. Es gibt schließlich auch Menschen, die stundenlang Fernsehen, oder die stundenlang Bücher lesen. Der Konsum eines Mediums an sich ist für mich noch kein Suchtkriterium. Und auch an der Zeit würde ich es nicht festmachen, vielmehr an der Wirkung.
Es gibt zum Beispiel Menschen, die in Spielen Anerkennung suchen, die sie in der realen Welt nicht erfahren. Wenn man das immer wieder braucht, weil man in der echten Welt oft scheitert, dann sollte man von einer gewissen Abhängigkeit ausgehen. Wenn man dazu noch andere Dinge - und sagen wir nicht nur Freunde oder Schule – vernachlässigt, sondern selbst Grundbedürfnisse, dann würde ich es schon als kritisch bezeichnen. Das sind die Fälle, wo man helfen muss und wo man auch mal wieder eine Rückbesinnung auf das normal Übliche vornehmen sollte.
Das Zweite ist, wenn wir über solche Abhängigkeitsverhältnisse sprechen, dann muss man schauen, ob es eine Abhängigkeit von einer Spielwelt ist, wo man in parasoziale Interaktion tritt – in diese Parallelwelt abdriftet – oder ob es die Erfolge im Spielverlauf sind, die das Belohnungszentrum im Gehirn ansprechen woraufhin Dopamin ausschüttet wird.
Das würde ich mir auch sehr genau anschauen. Denn es gibt eben tatsächlich Spiele, die sehr lange fordernd sind und die auch das Aufhören schwer machen können. Aber das heißt noch lange nicht, dass man davon abhängig ist, sondern, dass man eben auch ein sehr interessantes Angebot bekommt.
Um das ist der zweite Punkt, den ich bei dem Schritt der WHO problematisch finde: Spiele machen a priori demnach eher krank als dass sie hilfreich sind.
Das sehen Sie anders…
Richtig. Wenn wir uns über die Zukunft der Digitalen Gesellschaft unterhalten und sehen, wie viel eigentlich aus der Spielwelt abgeleitet wurde über die Jahre, dann ist das der falsche Grundton. Man sollte nicht schwarz-weiß darüber denken, sondern man muss schon sehen, dass auch die Graunuancen eine wichtige Rolle spielen.
Wer nicht viel für digitale Spiele übrig hat, dem fällt es oft schwer, den Technologietransfer oder die Möglichkeiten in anderen Branchen zu verstehen. Da geht es zum Beispiel um Technologien, um Spielmechaniken, um multimotivationale Logiken [ein Begriff aus der Psychologie, der beschreibt, dass Menschen durch verschiedenste Einflüsse zu ihrem Handeln angetrieben werden], die man zum Beispiel im Kontext der digitalen Bildung einsetzen kann.
Apropos digitale Bildung, wie steht es Ihrer Meinung nach um die Medienkompetenz von Kindern, Eltern, Schülern, Lehrern?
Ich würde hier primär von digitaler Kompetenz sprechen. Bei den Eltern ist die in vielen Bereichen unterausgeprägt, bei Lehrern auch. Die Digitalkompetenz ist kein fester Bestandteil ihrer Ausbildung, auch wenn ganz viele Lehrer sicher schon mal etwas davon gehört haben,
Und bei den Kindern und Jugendlichen sehe ich nicht mehr die Digitalkompetenz als Problem, sondern die Frage der Alternativen. Das heißt: Sie leben in einer digitalen Welt, um ihnen dann zu sagen, sie sollen das Digitale verlassen. Wenn man ihnen aber nie gezeigt hat, wie man das verlässt, dann sind sie verlassen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Das heißt, alle müssen dazulernen?
Kurzgefasst: Eltern, ja, da müsste man viel tun. Die meisten haben zwar ein Smartphone, aber sind nicht digital kompetent. Lehrer, ja, weil sie eine vermittelnde Rolle haben und im Bereich der Digitalkompetenz deutlich besser ausgebildet werden können, auch in Form von Weiterbildungen.
Und bei den Kindern und Jugendlichen geht es eher darum, die Alternativen so attraktiv zu machen, dass sie auch verstanden und angenommen werden. Zeigefingerlogik bringt da nichts, sondern Sie müssen Verständnis erzeugen. Zeigefingerlogik löst nur den Reiz aus, wie immer bei allen Dingen, die verboten waren. So war es früher zum Beispiel mit dem Rauchen. Das wird nicht funktionieren. Man muss auf einer kognitiven Ebene Verständnis erreichen.
Gibt es bei Ihnen zuhause Regeln?
Meine Tochter wird jetzt 16. Ich glaube, dass sie einen sehr gesunden Umgang mit Medien erlernen kann.
Und was ist mit Ihnen?
Tatsächlich spiele ich nicht zuhause. Das hat den einfachen Grund, dass ich sehr viel arbeite und deshalb zwei Grundsätze pflege: Ich arbeite nicht zuhause und ich zocke nicht zuhause.
Meine Konsole steht im Büro, was auch ganz gut so ist, da es eben für mich zum Arbeitsalltag gehört. Aber ganz ehrlich: Der soziale Kontakt mit meiner Familie – vor allem mit meiner Frau und meiner Tochter – ist mir deutlich mehr wert als jedes Computer- oder Videospiel.
Prof Dr. Jörg Müller-Lietzkow ist Professor für Medienökonomie und Medienmanagement an der Universität Paderborn.
Das Interview führte Hannah Fuchs.