Kaliningrad: Russische Insel in der EU
2. Juli 2005
Im Gebiet Kaliningrad leben etwa 940.000 Menschen, die Hälfte davon in der Stadt Kaliningrad. Die meisten sind Russen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der sowjetische Staats- und Parteichef Josef Stalin 1945 im Potsdamer Abkommen durchgesetzt, dass Königsberg und insgesamt 15.100 Quadratkilometer des nördlichen Ostpreußens der Sowjetunion zugeschlagen wurden. Das Areal wurde in die Russische Sowjetrepublik und nicht in das besetzte Litauen eingegliedert. Es gehört noch heute zu Russland - als russische Exklave in der EU.
Vergangenheit regeln
1946 ließ Stalin Königsberg nach dem kurz zuvor verstorbenen formellen sowjetischen Staatsoberhaupt Michail Kalinin umbenennen. Um die Spuren der deutschen Vergangenheit zu tilgen, erhielten auch die Orte des Gebietes sowie Straßen und Plätze russische Namen. Im selben Jahr wurde die Region als westlichster Vorposten der Sowjetunion zum militärischen Sperrgebiet erklärt. In der Ostsee-Hafenstadt Baltisk, dem früheren Pillau, entstand das Hauptquartier der baltischen Flotte. Bis 1991 durften Ausländer das Gebiet nicht betreten.
Um die negativen Folgen der Exklavenlage zu mildern, wurde Kaliningrad nach dem Ende der Sowjetunion zur Freihandelszone erklärt - zunächst ohne nennenswerten Erfolg. Auch mit Sonderregelungen für Zölle und Steuern gelang es der Gebietsverwaltung kaum, ausländische Investitionen anzuziehen. Erst jetzt stabilisiert sich die Lage allmählich.
Vergangenheit tilgen
Kaliningrad wird umschlossen von Polen und Litauen, das seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wieder unabhängig ist. Bis 1947 war die deutsche Bevölkerung von den Sowjets fast komplett vertrieben worden. Gleichzeitig wurden Menschen aus allen Teilen der Sowjetunion angesiedelt. Auf Moskauer Anweisung hin wurde die 1945 schwer zerstörte Königsberger Altstadt nicht wieder aufgebaut. Stattdessen entstand am Ufer des Pregel eine Stadt nach sowjetischem Muster - geprägt von Wohnblocks, breiten Straßen und riesigen Aufmarschplätzen.
Das 750-jährige Stadtjubiläum bezieht sich auf 1255, als der Deutsche Orden am Ufer des Pregels eine Burg errichtete. In deren Schutz entwickelten sich die Städte Altstadt, Kneiphof und Löbenicht zum späteren Königsberg. Etwa 600 Kilometer von Berlin entfernt, war Königsberg bis 1945 die östlichste deutsche Großstadt. Im Königsberger Schloss hatte sich am 16. Januar 1701 Kurfürst Friedrich I. zum ersten König von Preußen krönen lassen. Die Reste des im Krieg zerstörten Schlosses wurden 1969 gesprengt.
Vergangenheit retten
Die Verbindungen Kaliningrads zu seiner knapp 700-jährigen deutschen Geschichte sind überall zu sehen, viele ihrer Zeugnisse aber liegen in Trümmern. Die Ruine des Königsberger Domes blieb allein auf der einst eng bebauten Pregelinsel Kneiphof stehen. Erst in den 1990er Jahren wurde der Kirchenbau aus dem 14. Jahrhundert auf deutsche Initiative hin wieder aufgebaut.
Das alte Wahrzeichen wird heute von einer Ruine aus Sowjetzeiten überragt. Direkt neben dem ehemaligen Standort des Schlosses bröckelt seit zwanzig Jahren das "Haus der Räte" vor sich hin. Mitte der 1980er Jahre waren die Bauarbeiten mangels Geld eingestellt worden. Zur 750-Jahr-Feier hat die Stadtverwaltung auf zwei Seiten Fenster in die leeren Höhlen einbauen und dem Hochhaus einen weißen Anstrich verpassen lassen.
Vergangenheit hinterfragen
Anders als zu Sowjetzeiten, als die deutsche Vergangenheit totgeschwiegen wurde, hat die heutige Regierung nichts gegen die Begeisterung vieler Kaliningrader für die historischen Überreste. Das Interesse an der deutschen Geschichte zeigt sich überall: Die Universität wird wieder nach dem Philosophen Immanuel Kant benannt.
An jeder Ecke werden Postkarten mit alten Königsberger Ansichten verkauft. Sehr begehrt sind die Wohnungen im weitgehend intakten deutschen Villenviertel "Amalienau". "Es haben sich noch nie so viele Leute für die Geschichte interessiert wie heute", sagt die Direktorin des Staatlichen Kaliningrader Zentralarchivs, Alla Fedorowa. (arn)