Junge Syrer rappen in Berlin für die Revolution
14. April 2016Es ist bereits nach Mitternacht. In einem der ältesten besetzten Häuser von Berlin rocken etwa 200 Leute im Takt einer syrischen Rapband, der Rapper singt über seine Verfolgung durch das Assad-Regime. "Wollt Ihr Freiheit?" fragt der junge Mann flehend auf Arabisch, während lyrische Texte auf Englisch an der hinteren Wand zwischen einer Silhouette auftauchen, die Folter und Verhör in einem syrischen Gefängnis erahnen lässt. "Ja, und wir wollen all die Häftlinge!" singt er als nächstes. Seine Worte werden wie ein Echo von syrischen Männern und Frauen im vorderen Teil des vollgedrängten Raums wiedergegeben, die als Zeichen der Solidarität ihre Arme heben.
In mehrfacher Beziehung ist dies hier eine recht typische Nacht in Berlin: Punks, Aktivisten, Rap-Fans - ganze sechs Rap-Bands werden bis drei Uhr morgens auftreten - und Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Afrika und sonst woher tanzen zu elektronischen Rhythmen, Live-Schlagzeug und politisch motivierten Reimen. Die jungen Männer auf der Bühne haben eine unvorstellbare Reise hinter sich. Nachdem ihnen in ihrem Heimatland das Rappen verboten worden war, flüchteten sie - manche aus Gefängnissen, wo Freunde und Verwandte noch immer ausharren, falls sie überhaupt noch leben.
Flucht vor Verfolgung
Mazzaj Rap sind bereit für ihren Auftritt im Köpi, einer seit 1990 besetzten alten Mietskaserne, die zur Bastion alternativer Kultur in Berlin wurde. Jetzt wendet sich ein Mann auf Krücken an die Menge: "Tut mir leid, aber ich wurde vom syrischen Regime angeschossen”, sagt er. Doch der Mann will genauso wenig wie die Band auf der Bühne Mitleid erheischen.
Den aufwühlenden, hier erzählten Geschichten zum Trotz - der Titel "We Fed Up" etwa ist allen politischen Häftlingen und ihren Müttern gewidmet - handelt es sich beim Konzert um einen Ausdruck von Widerstand, um die Fortsetzung einer Revolution, um einen Kampf für Freiheit und Würde angesichts jahrzehntelanger Unterdrückung. Dass diese Menschen zuerst von Bashar al-Assad und dann durch den IS unterdrückt wurden, droht unterzugehen in der Medienhysterie über Flüchtlingshorden, die vermeintlich europäische Grenzzäune niederreißen.
Der 29-jährige Abu Hajar ist der Hauptrapper und Texter von Mazzaj Rap. Ende 2014 wurde er als Flüchtling in Berlin anerkannt. Er selbst bezeichnet sich als Ökonom, Musiker und politischen Aktivisten. Aufgrund seiner Musik und seines Aktivismus war er unter der syrischen Diktatur inhaftiert, die lange Zeit willkürliche Festnahmen als Mittel gegen Widerständler durchführte.
Als Abu Hajar 2007 als Student zum ersten Mal von der Polizei festgenommen wurde, lautete der Vorwurf: Verbreitung politischer Pamphlete. Doch der eigentliche Grund für seine Festnahme war wohl eher die verbotene Rap-Musik, die er spielte, insbesondere eines seiner Lieder, in dem er Ehrenmorde an syrischen Frauen durch Männer kritisierte.
Daraufhin wurde er von seiner Universität verbannt. Hajar zog nach Jordanien, um dort sein Studium zu beenden. Seit Anfang 2011 kehrte er jedoch regelmäßig nach Syrien zurück, um an friedlichen Protesten für mehr Bürgerrechte teilzunehmen. Innerhalb weniger Monate war eine Revolution durchs Land gegangen. Damals glaubte Abu Hajar, das Regime würde bald fallen. Aber am ersten Jahrestag der Proteste befand er sich wieder in Haft - als Opfer des unerbittlichen Durchgreifens des Regimes.
Seine Lebensgeschichte erzählt Abu Hajar auch andernorts - etwa in einem syrischen Café im polyglotten Berliner Stadtteil Wedding. Er zeigt auf einen Mann mit langen Haaren am Nebentisch - Schlagzeuger von Mazzaj Rap. Der war ebenfalls verhaftet worden, im März 2012. Beide wurden ohne Beweise eingesperrt und verbotener politischer Aktivitäten beschuldigt. Sie mussten sich damals eine Zelle teilen, in der sie täglich gefoltert wurden, inklusive Schläge und Elektroschocks.
Obwohl Abu Hajar befürchtete, zu sterben, so wie viele andere Häftlinge zuvor, wurde er zwei Monate später unerwartet freigelassen. Allerdings nur, um kurz darauf erneut von Geheimdienstagenten verfolgt zu werden. Er flüchtete in den Libanon, und von dort aus nach Europa. Nachdem er in Rom studiert hatte, entschloss er sich, nach Berlin zu ziehen, während der Bürgerkrieg in Syrien eskalierte.
Der Kampf gegen Erniedrigung
Abu Hajar kam nach Berlin, weil diese Stadt bekannt ist für ihre Toleranz und ihre kulturelle Vielfalt. Die deutsche Hauptstadt hatte bereits lange zuvor politische Flüchtlinge aus Syrien angezogen. Seitdem hat der Rapper beim Aufbau eines Netzwerks für syrische Aktivisten mitgewirkt, das im vergangenen März Hunderte von Mitgliedern vor dem Brandenburger Tor versammelte, um den fünften Jahrestag der Revolution in Syrien zu feiern.
Seine Musik hat sich stetig weiter entwickelt. Er nahm neue Stücke auf, hatte Auftritte und arbeitete mit internationalen Musikern zusammen.Doch trotz seiner neuen Freiheit und einer Beziehung mit einer deutschen Frau ist Abu Hajar ziemlich frustriert. Er sieht sich als "erniedrigter Flüchtling in Deutschland." Trotz aller "Refugees are Welcome"–Schilder hat er viel Rassismus zu spüren bekommen.
Er konnte beobachten, wie Neuankömmlinge tagelang in der Kälte auf ihre Registrierung warteten und dokumentierte, wie einige von ihnen von Aufpassern geschlagen und beleidigt wurden. Abu Hajar macht das zum Hauptthema auf dem neuen Album, das er zur Zeit aufnimmt. "Und wer wird einem Flüchtling eine Unterkunft geben?" fragt er, "auf jeden Antrag schreibe ich: Ich heiße Mohamed, ich bin kein Terrorist." Er formulierte das kurz nach den Terroranschlägen in Brüssel im März, weil er befürchtet, dass auch syrische Flüchtlinge unter Vorverdächtigungen zu leiden haben werden, obwohl sie, so wie er selbst auch, keine Anhänger des Islams sind.
Während sich in Deutschland - befeuert von rechtspopulistischen Bewegungen wie PEGIDA und der Alternative für Deutschland - eine Anti-Flüchtlingsstimmung aufzubauen scheint, sagt Abu Hajar, er würde am liebsten in seine Heimat zurückkehren, wenn er nur könnte. Doch zuerst will er seine Doktorarbeit in Deutschland schreiben, die Revolution aus dem Exil heraus weiter vorantreiben und durch seine Musik erzählen, warum er und so viele andere Syrer nach Deutschland gekommen sind.
Immerhin: Im Köpi freuen sich die Mitglieder von Mazzaj Rap darüber, dass ihnen die Berliner zujubeln, begeistert pfeifen und Zugaben verlangen. Für sie, und vielleicht vor allem für ihren Kameraden auf Krücken, sind solche Momente ein kurzer Triumph im langen Kampf für Würde.