Julian Assange
1. Dezember 2010Seine Waffe ist das Wort, verbreitet mit Lichtgeschwindigkeit im Internet. Julian Assange, der Mitbegründer des Enthüllungsportals Wikileaks, greift an, will aufdecken und ist dennoch ständig auf der Flucht - ein Getriebener vor sich selbst, den Geheimdiensten und seiner Plattform.
Begonnen hat Julian Assange seine Karriere mit dem PC-Klassiker Commodore 64. Als damaliger Hacker drang er in fremde Netze ein und stöberte in Online-Netzwerken herum. Als Jugendlicher geriet der talentierte Hacker erstmalig ins Visier der Justiz, angeblich soll er sich Ende der 1980er-Jahre auch in das Computersystem der US-Raumfahrtbehörde NASA eingeschlichen haben.
Der Getriebene
Der am 3. Juli 1971 in Townsville, einem Ort im nördlichen Australien, geborene Julian Paul Assange, durchlebte eine unstete Jugend. Angeblich zog er mit seinen Eltern, die ein Wandertheater leiteten, ständig um. Insgesamt soll er 37 Schulen besucht haben. Nach der Schule studierte er Physik an der University in Melbourne, lebte und arbeitete in China, Iran, Australien, den USA und Großbritannien, nach eigenen Angaben als Berater für Computersicherheit und als Journalist.
2006 kommt die große Wende in seinem Leben: Er gründet mit einigen Freunden Wikileaks als Plattform für Enthüllungen im Internet. Das System sollte als eine Art "toter Briefkasten" dienen, über den man anonym Dokumente zu Missständen und Skandalen einer weltweiten Öffentlichkeit zuführen kann. "Wir wollen drei Dinge", sagte der 39-Jährige der Nachrichtenagentur AFP, "die Presse befreien, Missstände aufdecken und Dokumente retten, die Geschichte machen".
Mit der Veröffentlichung eines Bordvideos aus einem US-Helikopter, in dem die Tötung von Zivilisten in Bagdad zu sehen ist, gerieten Assange und Wikileaks erstmals international in die Schlagzeilen. In dem Video aus dem Jahre 2007 war deutlich zu sehen, wie elf Zivilisten - darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters - aus dem Hubschrauber heraus erschossen wurden.
Der Verfolgte
Seitdem lebt Assange aus dem Koffer und übernachtet oft konspirativ bei Freunden und Bekannten. Nie ist sicher, woher er gerade kommt, woran er arbeitet. Rastlos reist er um die Welt, quartiert sich bei Bekannten und Helfern ein - heute in Stockholm, morgen in Nairobi, übermorgen in London. Kürzlich behauptete er sogar, er lebe zurzeit auf Flughäfen. Selbst in Europa fühlt er sich beobachtet. "Wir stehen Organisationen gegenüber, die sich nicht an die Regeln halten", sagt Assange. Er glaubt, dass er sich im Visier von Geheimdiensten befindet.
Ein gewisses Maß an Verschwörungstheorie ist Assange nicht zu verübeln. Mit der Veröffentlichung von fast 400.000 geheimen US-Dokumenten zum Irak-Krieg im Oktober 2010, in denen unter anderem der Tod hunderter Zivilisten an US-Checkpoints dokumentiert ist, brachte Assange endgültig die US-Armee und Geheimdienste gegen sich auf. Schon mit der Veröffentlichung zehntausender geheimer Dokumente zum Afghanistan-Einsatz im April 2010 hatte sich Wikileaks mächtige Feinde gemacht.
Kurze Zeit später tappte Assange in die Falle. Im August war der Australier in Schweden unter Vergewaltigungsverdacht geraten, seitdem war er kaum zu sehen und tauchte unter. Er soll eine Frau vergewaltigt und eine weitere belästigt haben, der Wikileaks-Mitbegründer weist aber alle Vorwürfe zurück. Interpol fahndet weltweit nach ihm.
Der Ungeliebte
Nachdem die Anschuldigungen gegen Assange laut geworden waren, hatte der Australier zunächst von einem Komplott gesprochen. "Ich weiß nicht, wer sich dahinter verbirgt", sagte er einer Zeitung. "Aber wir sind gewarnt worden, dass beispielsweise das Pentagon uns böse mitspielen könnte, um uns zu zerstören."
Nach der Veröffentlichung geheimer US-Depeschen vor wenigen Tagen dürfte der Sprecher von Wikileaks noch mehr Feinde haben. In den USA, in Saudi-Arabien, Deutschland und der ganzen Welt. Nur ein Land scheint zu ihm zu stehen: Ecuador bietet Julian Assange jetzt Asyl an.
Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Kay-Alexander Scholz