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"Journalisten sind Berufsgeheimnisträger"

Heinrich, Daniel 5. August 2015

Der Geschäftsführer des deutschen Presserates Lutz Tillmanns erklärt, warum es zur Kollision von Presse- und Justizfreiheit kommen muss. Im DW-Interview fordert er klare gesetzliche Regelungen.

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Symbolbild Wikileaks
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gerten

DW: Die Affäre um die Ermittlungen gegen zwei Journalisten von netzpolitik.org hat für politischen Wirbel gesorgt und den Generalbundesanwalt den Job gekostet. Herr Tillmanns, wie ist es um die Pressefreiheit in Deutschland bestellt?

Lutz Tillmanns: Ich meine, dass es in Deutschland ein gut austariertes Pressewesen und damit einhergehend auch eine gut entwickelte Kultur der Pressefreiheit gibt. Beim Index der "Reporter ohne Grenzen" liegen wir weltweit auf Rang 12. Wir liegen auf einer Ebene mit Ländern wie Irland und Tschechien. Nur die skandinavischen Länder sind uns noch voraus. Insgesamt befinden wir uns also in guter Nachbarschaft mit Ländern, in denen die demokratischen Strukturen stark sind und in denen die Pressefreiheit auch wirklich gelebt wird.

Es gibt also in Deutschland nichts zu kritisieren?

Es gibt auch hierzulande einzelne Fälle, die daran zweifeln lassen, dass der Staat die einzelnen Journalisten genügend akzeptiert. Der vorliegende Fall um das Blog Netzpolitik.org und die Ermittlungen gegen die Journalisten gehört auch dazu. Im Kern dreht es sich um die Streitfrage, ob Publizisten geheimes Material, beziehungswese Material, das nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist, veröffentlichen dürfen. Da gibt es auch noch Verbesserungsbedarf.

Sehen Sie in der jetzigen Affäre einen Zusammenhang zur Spiegel-Affäre in den 1960er Jahren? Schon damals mussten sich Journalisten den Vorwurf des "Landesverrats" gefallen lassen.

Es steht in jedem Fall im Raum, dass die jetzige Affäre ein kleiner Nachfolger der damaligen Affäre sein könnte. Die Probleme sind vergleichbar mit 1962, als der Spiegel mit dem Artikel "Bedingt abwehrbereit" aufmachte und der damalige Verteidigungsminister Strauß die Initiative ergriff. Letzten Endes ist das Ganze damals gescheitert. Ein "publizistischer Landesverrat" konnte nie nachgewiesen werden. Dieses Argument des "Landesverrats" ist ja auch ein hartes Mittel, mit dem versucht wird, die Presse letzten Endes stumm zu schalten.

In welchen Fällen stößt Pressefreiheit auch in Deutschland an ihre Grenzen?

Da geht es vor allem darum zu fragen, inwieweit Journalisten überhaupt abgehört werden dürfen. Denn eines ist klar: Journalisten sind Berufsgeheimnisträger, genau wie Ärzte und Strafverteidiger und müssen schon deswegen unter besonderen Schutz gestellt werden. Insbesondere die Vorratsdatenspeicherung sehe ich kritisch, ebenso wie das Abhören und die Speicherung der Kommunikation von Journalisten. Aber es gibt auch alltägliche Probleme. Nehmen Sie beispielsweise den Fall, wenn eine staatliche Behörde keine Informationen herausgibt, sei es aus Gründen des "Datenschutzes", der "Geheimhaltungspraxis" oder schlicht, weil es "zuviel" Arbeit macht. Da machen es sich staatliche Stellen manchmal zu einfach.

Lutz Tillmanns (Bild: privat)
Lutz Tillmanns: "Über Pressefreiheit muss immer wieder neu diskutiert werden"Bild: privat

Was müsste sich denn ändern?

Es gibt in Deutschland kein Bundesgesetz zur Presseauskunft. Und das, obwohl das Bundesverwaltungsgericht das schon vor einigen Jahren thematisiert hat. Das ist ganz klar ein Defizit. Das Grundproblem ist, dass sich Journalisten beim Auskunftsrecht immer auf Artikel 5 der Verfassung berufen, auf das Recht zur freien Meinungsäußerung. Das ist sehr riskant. Pressestellen sind oft unsicher, da sich in solchen Fällen häufig die Juristen einschalten.

Die Presse will die Öffentlichkeit informieren, die Justiz ihre Unabhängigkeit bewahren. In letzter Konsequenz bedeutet dies doch, dass Presse- und Justizfreiheit miteinander kollidieren müssen, oder?

Selbstverständlich gibt es da bisweilen kollidierende Interessen. Wir sprechen hier von der dritten und vierten Gewalt im Staat. Immer wieder muss da also abgewogen werden. Insbesondere aufgrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus und auch in der ehemaligen DDR. Da fand eine Gleichschaltung der Presse, eine Beaufsichtigung der Presse statt. Veröffentlicht werden durfte nur, was der Staat, die Partei zuließ.

Das gesamte Berufsbild der Journalisten befindet sich im Wandel. Es gibt unzählige Blogs, die sozialen Netzwerke erfreuen sich unglaublicher Popularität. Inwiefern müssten wir über eine Neudefinition von "Pressefreiheit" nachdenken?

Man muss immer wieder neu über Pressefreiheit und deren praktische Handhabung nachdenken. Vor allem sind wir der Meinung, dass man journalistische Arbeit auch auf ethische Fragen hin immer neu überdenken muss. Es wird immer wieder den Fall von Personen geben, die ihre Identität am liebsten im Verborgenen halten möchten, an denen es aber ein öffentliches Interesse gibt. Denken Sie nur an die Berichterstattung über den NSU-Prozess: Den Beteiligten wäre es im Zweifel wahrscheinlich am liebsten gewesen, wenn sie im Verborgenen geblieben wären. Auf der anderen Seite hat die Öffentlichkeit schlicht und ergreifend das Recht, darüber informiert zu werden.

Lutz Tillmanns ist der Geschäftsführer des Deutschen Presserats.