Künstler über den Antisemitismus in Deutschland
24. April 2018Für Ben Salomo gehört Antisemitismus schon lange zum Alltag. Geboren 1977 in Israel, aufgewachsen in Berlin-Schöneberg, hat der Rapper und YouTuber seit frühester Jugend viel einstecken müssen - weil er Jude ist. "Ich war auf mehreren Schulen. Überall wurde ich wegen meiner jüdischen Herkunft diskriminiert und auch teilweise mit Gewalt konfrontiert", erzählt er im Gespräch mit der DW. "Als ich klein war, war die Religionszugehörigkeit kein Thema. Irgendwann, mit elf, zwölf, wurde ich von meinen muslimischen Spielkameraden gefragt, 'Was bist du eigentlich für einer?' Als ich antwortete 'Ich bin Jude', waren die Jungs, mit denen ich tags zuvor noch gespielt hatte, plötzlich gegen mich."
Seitdem verzichtet er - auch auf Bitten seiner Mutter - auf das öffentliche Tragen von jüdischen Symbolen: "Man weiß ja nie, wem man begegnet, wer sich davon provoziert fühlen und vielleicht handgreiflich werden könnte." Mit diesem Rat steht seine Mutter nicht allein da: Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte jetzt seinen jüdischen Mitbürger davor, öffentlich Kippa zu tragen, zumindest wenn sie allein unterwegs sind. Obwohl er eigentlich findet: "Trotzig bekennen (und Kippa tragen) wäre im Prinzip der richtige Weg."
"Jetzt reicht's"
Ben Salomo fand als Jugendlicher Zuflucht und Akzeptanz im Breakdance und im Rap, der damals noch frei von Rassismus und Antisemitismus war: "Sowas spielte da keine Rolle." Das habe sich mittlerweile grundlegend geändert. "Menschen, die mit antisemitischem Gedankengut sozialisiert wurden, sind in die Szene gekommen und haben angefangen, ihre Ideologien zu verbreiten. Es wurde immer größer, es wurde nicht reflektiert, nichts entgegengesetzt. Und so hat sich auch diese ganze Kulturszene verändert. Es ist nicht mehr das, was es war."
Deshalb hat Salomo, der mit bürgerlichem Namen Jonathan Kalmanovich heißt, jetzt Konsequenzen gezogen. Er beendet sein Projekt "Rap am Mittwoch", das größte deutsche Live-Battle-Event, von ihm selbst auf YouTube produziert und moderiert, und zieht sich aus der HipHop-Szene zurück. Weil er sich alleingelassen fühlt. "Es gibt keine Solidarität. Niemand möchte sich wirklich mit dem Thema Antisemitismus, das oft unter dem Deckmantel des Hasses auf Israel daherkommt, auseinandersetzen. Deshalb habe ich gesagt: Jetzt reicht's." Die antisemitischen Texte der Rapperkollegen Farid Bang und Kollegah sind für Ben Salomo folglich kein Einzelfall, sondern "der Spiegel dessen, was in der Gesellschaft von morgen los sein wird."
"Genau hinhören und widersprechen"
Der russisch-deutsche Pianist Igor Levit gehört zu den Künstlern, die ihren Echo aus Protest gegen die Auszeichnung der umstrittenen Rapper zurückgegeben haben. In einem Interview mit "Zeit Online" spricht der jüdische Musiker von einer "Konsensverschiebung", die in der deutschen Gesellschaft stattfinde: "Dinge, die gesellschaftlich völlig inakzeptabel waren und auch nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit toleriert wurden, sind plötzlich wieder Konsens." Levit fordert eine "harte Diskussion" darüber. Er selbst sei kein ängstlicher Mensch, aber "wenn, wie neulich geschehen, die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch im Bundestag spricht und Parlamentarier (der AfD-Fraktion, Anmerkung. d. Red.) sich weigern, nach der Rede aufzustehen und zu applaudieren, dann ist das sehr schmerzhaft. Ich habe keine Angstzustände, aber so etwas beobachte ich sehr genau."
Igor Levit sieht in der AfD eine Gefahr, die häufig subtil daherkomme: "Auch der flachste AfDler hat begriffen, dass es in Deutschland komplizierter ist, ein Ressentiment gegen Juden offen auszudrücken als eins gegen Muslime." Das bedeute aber nicht, dass es keine antijüdischen Ressentiments gebe: "Es werden andere Deckworte benutzt. Jeder, dem Demokratie und Zwischenmenschlichkeit etwas bedeuten, muss sehr genau hinhören und widersprechen."
"Viele Leute sind schlicht ignorant"
Gerade über diese Zwischenmenschlichkeit macht sich auch Peaches alias Merrill Beth Nisker derzeit viele Gedanken. Die Performancekünstlerin, Musikerin und Produzentin wurde 1966 in Toronto geboren und wuchs als Teil einer jüdischen Familie mit dem traditionellen Judentum auf. Ende der 1990er kam sie nach Berlin. Peaches ist auf der ganzen Welt unterwegs, hat ihren Wohnsitz aber in der deutschen Hauptstadt. Bislang musste sie ihr Jüdischsein nicht verbergen, auch bedroht wurde sie nach eigenen Angaben noch nie. Auf die Frage, ob sie sich über den Antisemitismus in ihrer Wahlheimat Sorgen mache, antwortete sie der DW: "Ich mache mir nicht nur Sorgen um Antisemitismus, sondern darüber, wie Menschen andere Menschen behandeln. Ich mache mir Sorgen darüber, woher Leute ihre Informationen beziehen, wie sie sie interpretieren und wie sie Dinge verallgemeinern. Und besonders besorgt bin ich, wenn ein deutscher Rapper (Kollegah, Anmerkung d. Red.) solche Dinge sagt."
Auch den jüngsten Vorfall in Berlin, als ein Kippa-tragender Mann auf der Straße angegriffen wurde, hat sie genau verfolgt. Partei ergreifen will die Künstlerin allerdings nicht. Es sei "kompliziert", sagt sie: "Der Frust der jungen Muslime in Europa ist sehr groß, und er hat mit der Politik Israels zu tun. Israel und Judentum sind aber zwei verschiedene Dinge, die immer wieder vermischt werden, so wie Muslime und Terrorismus." Mangelnde Aufklärung sei ein wesentliches Problem: "Viele Leute wissen gar nicht, was ein Jude ist. Ich habe einen Freund aus Frankreich. Irgendwann benutzte er das Wort "Jude" in einem negativen Zusammenhang. Ich sagte: 'Ich bin Jüdin, was soll das denn?' Und er meinte: 'Keine Ahnung, ich habe nie einen Juden getroffen, und ich weiß eigentlich gar nicht, was es bedeutet, Jude zu sein.' Viele Leute sind schlicht ignorant."
Auswandern als letzter Ausweg
Mehr Aufklärung, das wünscht sich auch der Rapper Ben Salomo dringend. "Die deutsche Regierung muss jetzt richtig Geld in die Hand nehmen, um dem Hass etwas entgegenzusetzen, mit Sozialarbeit und mit Aufklärung. Wenn die Politik jetzt nicht handelt, dann haben wir hier in fünf bis zehn Jahren französische Verhältnisse." Frankreich ist mit rund 500.000 Juden das Land mit der größten jüdischen Gemeinschaft Europas. Rund 27.000 Juden sind von dort in den vergangenen fünf Jahren nach Israel ausgewandert, weil sie sich massiven Ressentiments und Gewalt ausgesetzt sahen.
Ben Salomo gibt deutschlandweit Seminare, vor allem für jüdische Jugendliche. Er versucht, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Dabei sei ihm klar geworden, dass der Antisemitismus sich längst nicht mehr auf Schulhöfe in den sozialen Brennpunkten Berlins beschränkt: "Fast alle Kids, egal wo, erzählen mir von antisemitischen Übergriffen, von Diskriminierung, von Bespucktwerden. Ich bin sehr gut vernetzt in der jüdischen Community in Berlin und darüber hinaus. Fast alle jüdischen Mitbürger, die ich kenne, machen sich große Sorgen." Auswandern sei ein letzter Ausweg, den Salomo auch für sich und seine Familie nicht ausschließt - schweren Herzens: "Das schwebt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Ich bin in Berlin aufgewachsen, aber wenn es nötig ist, werde ich Deutschland verlassen. Gedanklich sitze ich auf gepackten Koffern."