Jesse Klaver muss sich beweisen
3. Mai 2017Jeden Freitag ruhen die nun schon Wochen dauernden Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden. Denn freitags ist "Papa-Tag", vorgeschlagen von dem grünen Shootingstar Jesse Klaver. Der Parteichef von GroenLinks hatte seinen drei Verhandlungspartnern, Premier Ruttes VVD, den Christdemokraten und der liberalen D66 erklärt, einen Tag in der Woche wolle er gerne mit seinen Kindern verbringen. So kolportierte es die niederländische Presse. Dazu kursierte ein Instagram-Foto: Klaver mit seinen beiden kleinen Söhnen im Schwimmbad - alle drei mit süßen Nashorn-Badehosen. Dass Verhandlungsführer und Premier Mark Rutte am Freitag wegen Verpflichtungen im Ministerrat und offiziellen Empfängen sowieso kaum Raum für Koalitionsgespräche bleibt, interessierte da niemanden mehr.
Politiker und Papa
Eine typische Klaver-Aktion. Der erst 30-Jährige trat im Wahlkampf mit einem ganz neuen Stil an und wird wieder mal seinem Ruf gerecht, es anders zu machen. Optimismus, Hoffnung, Veränderung lauten seine Grundprinzipien, für Flüchtlinge tritt er ein und für Europa. "Wir sind sehr links", erklärt er ausländischen Medien gerne. Deren Aufmerksamkeit brach über ihn herein, als klar wurde, dass GroenLinks mit dem gut aussehenden Frontmann bei den niederländischen Parlamentswahlen im März so viele Sitze wie noch nie gewinnen und anstelle des Rechtspopulisten Geert Wilders zum großen Wahlsieger werden würde.
Klaver, der eine indonesisch-niederländische Mutter und einen marokkanisch-stämmigen Vater hat, der die Familie früh verließ, wuchs zum Teil bei den Großeltern auf, kennt das Leben in Sozialwohnungen von innen und seine Schullaufbahn war auch kein Riesenerfolg. Aber er entwickelte enormen Ehrgeiz, engagierte sich in der Gewerkschaft und war mit zwanzig Vorsitzender von "Dwars", der Jugendorganisation von GroenLinks.
Wie Jesse wirklich heißt…
Gerade was seine Herkunft und seinen Umgang damit angeht, bekommt Klaver allerdings auch Gegenwind und Anfeindungen. Er habe seine Kindheit ärmer dargestellt, als sie tatsächlich gewesen sei, behauptete das Boulevardblatt Telegraaf und im Wahlkampf sollte er plötzlich erklären, warum er den Familiennamen seiner Mutter trägt und nicht den marokkanischen seines Vaters, den Klaver gar nicht persönlich kennt. Auch an seinem Vornamen Jesse wurde gezweifelt: Heiße er nicht eigentlich Yasser, wurde gemutmaßt?
All das konnte "Jessias", so sein Spitzname, bisher nicht viel anhaben - auch wenn manche sich an Assoziationen mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau stoßen, mit denen Klaver vom Aussehen her oft verglichen wird, oder an seiner als "zu amerikanisch" wahrgenommenen Art und Weise den Wahlkampf zu führen. "Jesse hat schon ein weißes Oberhemd getragen, da wussten wir noch gar nicht, wer Trudeau ist," wischt sein Wahlkampfleiter Wijnand Duyvendak die Kritik beiseite. "Und dass sie sich ähnlich sehen - tja, da können wir ja auch nichts für."
Vom "Jessias" zum Gekreuzigten?
Dass Klaver nun in den Koalitionsverhandlungen sitzt, ist für GroenLinks der größte politische Erfolg seit Bestehen der Partei. Es könnte aber auch ein großer Stolperstein werden. Denn bisher haben alle Koalitionspartner, mit denen Premier Rutte die vorangegangenen zwei Regierungen bildete, erheblich Federn gelassen - allen voran die Sozialdemokraten. Die Partij van de Arbeid (PvdA) erlebte bei den letzten Wahlen einen historischen Absturz und wird nun nicht mehr an der Regierung beteiligt sein. Viele, so auch die Jugendorganisation von GroenLinks warnen denn auch vor zu viel Nachgeben, nur um Teil der Regierung zu werden. Am Ende könnte man mit nur noch drei Sitzen und statt eines Jessias mit einem Gekreuzigten dastehen.
Wie kann der grüne Hoffnungsträger also aus einer Regierungsbeteiligung einen Erfolg machen? "Jesse Klaver ist sehr jung und politisch unerfahren, das ist sein Nachteil," sagt Politikwissenschaftler Paul Lucardie von der Universität Groningen. Dennoch müsse GroenLinks bei einer Regierungsbeteiligung nicht so abstürzen wie die PvdA. "Die Wähler der PvdA sahen es bisher als beinah selbstverständlich an, dass sie an der Regierung beteiligt war. Für GroenLinks ist das eine ganz neue Situation und es könnte durchaus sein, dass die Wähler darum gnädiger mit ihrer Partei umgehen."
Zudem sei Klaver im Wahlkampf immer ehrlich gewesen und habe erklärt, er wolle zwar lieber nicht mit Premier Ruttes VVD koalieren, hatte dies aber auch nicht ausgeschlossen. Auch was die Umsetzung grün-linker Themen in einer solchen Koalition angehe, habe Klaver immer klargemacht, dass sich nicht alles durchsetzen lassen werde, so der Politikwissenschaftler. "Klaver kann das Risiko sicher verkleinern, wenn es ihm zumindest gelingt, ein oder zwei Ziele durchzusetzen," meint Lucardie. Zum Beispiel beim grünen Kernthema Klimaveränderung, wenn es ihm gelänge, mehr Windenergieanlagen bauen zulassen.
Außerdem sei es schlau, kein Ministeramt zu übernehmen, wenn es denn tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen käme, sondern sich als normaler Parlamentarier immer mal wieder mit kritischen Reden hervorzutun. So könne er auch in einer Koalition sein Profil weiter schärfen. Am Ende könnten Klaver und GroenLinks aus einer Regierungsbeteiligung, die noch lange keine beschlossene Sache ist, zwar bei der nächsten Wahl mit ein bis zwei Sitzen Verlust, aber mit deutlich mehr Erfahrung hervorgehen, so Lucardie. Und auch wenn man Klavers Popularität gar nicht so leicht erklären könne: Auf jeden Fall sei er zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht.