Depression möglich
22. Januar 2008DW-WORLD: Was erleben wir derzeit an den Finanzmärkten?
Max Otte: Das ist ein typischer Herdeneffekt: Die ersten Anleger haben Angst bekommen, jetzt bekommen noch mehr Angst - und immer mehr steigen aus. Aber dahinter steht natürlich eine reale Gefahr, die sich jetzt bemerkbar macht, indem die Stimmung - auf einmal und ziemlich plötzlich - kippt.
Was hat die Herde in Panik versetzt?
Man hat ja schon im Februar 2007 gesehen, dass die ersten Subprime-Kredite in den USA faul waren. Dass in diesem Bereich sehr große Risiken liegen, wusste jeder Insider. Aber man hat das Spiel so lange gespielt, wie man konnte. Das machen Insider - genau wie in der New Economy - immer gerne, denn Geld verlieren ja nur die Letzten. Daher hat man die Stimmung noch lange hoch gehalten, aber irgendwann ging das nicht mehr – und jetzt ist sie eben gekippt.
Ist die Hypothekenkrise dabei der Hauptfaktor oder gibt es noch tiefere Gründe?
In meinem Buch "Der Crash kommt" habe ich die Hypothekenkrise ja schon vor zwei Jahren vorhergesagt. Sie ist tatsächlich der auslösende Faktor. Amerika hat mit immer billigerem Geld die Konsumwirtschaft immer weiter angekurbelt. Die amerikanischen Konsumenten, die für 15 Prozent des Weltsozialproduktes verantwortlich sind, kaufen seit 15 Jahren auf Pump: Man hat ihnen - auch im Bereich der Hypotheken - immer mehr Kredite gegeben. Dieses Gebäude droht jetzt einzustürzen. Das kann dramatisch werden.
Was steht uns bevor?
Auf jeden Fall ist eine Rezession in den USA unausweichlich. Aber Rezessionen sind normal; sie gehören zur Wirtschaft wie die Krankheit zu einem normalen Organismus. Nur: Wenn noch ein weiterer Unfall dazukäme, könnte die Rezession in eine Depression kippen. So könnte beispielsweise das chinesische Bankensystem kollabieren, denn das auch nicht besonders solide. Dann hätten wir eine Spirale von Abwertungswettläufen wie 1929. Aber vielleicht gibt es diesen zweiten Unfall ja nicht.
Die US-Notenbank hat den Leitzins um 75 Basispunkte auf 3,5 Prozent gesenkt. Wird dies die Wirtschaft stützen?
Notenbanken versuchen es in solchen Situationen mit Zinssenkungen. Ich habe ja bei dem Notenbank-Chef Ben Bernanke studiert, der sich viel mit der Weltwirtschaftskrise beschäftigt hat. Man kann natürlich Liquidität ins System pumpen und das versucht Bernanke nun. Aber Geldpolitik ist wie ein Lasso: Sie können das Pferd damit zu sich ziehen, aber Sie können es damit nicht anschieben. Wenn die Wirtschaftsteilnehmer das Geld horten, haben wir trotz allem eine Krise.
Wie sollten sich Anleger verhalten?
Jetzt etwas zu tun, halte ich für grundfalsch, denn jetzt müssen sich erst einmal die Emotionen beruhigen. Es geht immer ums Vorausdenken: Also um eine vernünftige Vermögensaufteilung zwischen Papiervermögen – sprich Lebensversicherung, Geld und so weiter - , echtem Aktienvermögen, Immobilien und Gold. Streuung ist die Devise – aber bitte nicht in Zertifikate anstelle der Aktien. Die Aktien sind echtes Vermögen, Zertifikate sind auch nur Papiervermögen, also Forderungen gegenüber der Bank. Wir wissen nicht, wo die Risiken herkommen, wir wissen nur, dass sie da sind und dass irgendwo wahrscheinlich noch weitere Kursrutsche passieren werden.
Max Otte ist Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms. Von September 1998 bis September 2000 war Otte Assistant Professor für internationale Wirtschaft und internationales Management an der Boston University. Unter anderem veröffentlichte er 2006 das Buch "Der Crash kommt – Die neue Weltwirtschaftskrise und wie Sie sich darauf vorbereiten".