1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Instabile Mehrheit für Tunesiens neue Regierung

Sarah Mersch5. Februar 2015

Tunesiens Ministerpräsident konnte eine breite Mehrheit für seine Regierung gewinnen, die fünf Jahre lang die Politik bestimmen wird - wenn sie vorher nicht zerbricht. Aus Tunis berichtet Sarah Mersch.

https://p.dw.com/p/1EW8C
Tunesiens Parlament (Foto: DW/S. Mersch)
Bild: DW/S. Mersch

Feierstimmung war nicht angesagt, als das tunesische Parlament heute die Regierung verabschiedet hat - eher Erleichterung, dass mehr als drei Monate nach den Parlamentswahlen auch diese Etappe genommen wurde. Nach zwei Tagen, 136 Wortmeldungen und aufgeregten Diskussionen auf den Fluren des Abgeordnetenhauses war es soweit: 166 der 217 Parlamentarier stimmten für die Koalitionsregierung - eine komfortable Mehrheit für die Regierenden. Er wolle jetzt keine Zeit verlieren, versicherte der neue Ministerpräsident Habib Essid. "Unser Motto lautet: an die Arbeit, an die Arbeit, nichts als an die Arbeit", verkündete er noch leicht angespannt, als das Ergebnis verkündet wurde.

Als Essid im Januar einen ersten Vorschlag gemacht hatte, hagelte es von allen Seiten Kritik. Eine Mehrheit im Parlament war nicht absehbar. Um sich jetzt einen starken Rückhalt zu sichern, hat der parteilose Regierungschef neben der stärksten Kraft Nidaa Tounes und der Freien Demokratischen Union des windigen Geschäftsmannes Slim Riahi diesmal noch zwei weitere Parteien ins Boot geholt: die wirtschaftsliberale Partei Afek Tounes und Ennahdha. Dabei hatte Nidaa Tounes im Wahlkampf ausgerechnet gegen Ennahdha Stimmung gemacht. "Nützlich wählen" - also: taktisch wählen - und so verhindern, dass die Islamisten an die Regierung kommen, lautete die Devise der Sammlungsbewegung Nidaa Tounes noch im Wahlkampf der vergangenen Monate.

Habib Essid am Rednerpult (Foto: AFP/Getty Images/F. Belaid)
Erleichtert: Tunesiens neuer Ministerpräsident Habib EssidBild: AFP/Getty Images/F. Belaid

Krise beim Wahlsieger

Nicht wenige Wähler fühlen sich von der neuen Koalition hintergangen. Am Wochenende hatten einige von ihnen sogar noch vor der Zentrale der Partei gegen eine Regierungsbeteiligung des Wahlkampf-Gegners demonstriert, der jetzt einen Minister und drei Staatssekretäre stellt. Auch intern kriselt es bei Nidaa Tounes, einer heterogenen Partei aus Gewerkschaftlern, Bürgerlichen und Mitgliedern des alten Regimes, zunehmend. "Die Probleme in Gesellschaft, Wirtschaft und Sicherheit haben uns dazu gedrängt, eine Regierung zu bilden, die große Teile der politischen Landschaft vereint", verteidigt Lazhar Akremi, eine der Führungskräfte von Nidaa Tounes, unterdessen die Entscheidung für eine Allianz mit den Islamisten. Verhindern, dass das Land in eine Krise stürzt, so lautet auch die Devise bei Juniorpartner Ennahdha.

Die Regierung habe zwar mehr Stimmen bekommen als alle Übergangsregierungen seit der Revolution vor vier Jahren, merkt der oppositionelle Abgeordnete Iyed Dahmani an. "Aber paradoxerweise ist die Regierung schon bei ihrer Geburt schwächer als ihre Vorgänger, denn es gibt in ihrem Inneren ernsthafte Probleme." Deutliche Kritik äußerte die Opposition vor allem an Ministerpräsident Essid wie auch am neuen Innenminister Najem Gharsalli. Beide waren schon unter dem gestürzten Machthaber Zine El Abidine Ben Ali politisch aktiv gewesen.

"Eine politische Totgeburt"

Keine schwere Geburt, sondern eine Totgeburt sei diese Regierung, meint Amira Yahyaoui, Präsidentin der Watchdog-Organisation Al Bawsala, die die Arbeit des Parlaments überwacht. Ein instabiles Land wie Tunesien brauche ein Regierung mit klarer Linie, die nicht aus so politisch unterschiedlichen Kräften zusammengewürfelt sei wie dieses neue Kabinett. "Eine nationale Einheitsregierung ergibt heute keinen Sinn mehr." Die Opposition wird so auf eine Minderheit von nicht einmal 30 Abgeordneten reduziert, während die Koalitionsmehrheit problemlos sogar Änderungen an der neuen Verfassung verabschieden kann.

Tunesiens Parlament (Foto: DW/S. Mersch)
Müssen jetzt eine Einheit werden: Die Abgeordneten der RegierungskoalitionBild: DW/S. Mersch

Die breite politische Basis sei außerdem keineswegs ein Garant für Stabilität. Yahyaoui glaubt nicht, dass die Regierung die fünfjährige Legislaturperiode überstehe. "Ich weiß nicht mal, ob sie ein halbes Jahr überstehen. Das ist eine Totgeburt."

Die Herausforderungen für die erste reguläre Regierung nach dem Umbruch vor vier Jahren sind indes groß. Die Bekämpfung des Terrorismus hat Habib Essid zu seiner Priorität erklärt. Außerdem spürt die tunesische Wirtschaft nach wie vor die Auswirkungen der Revolution. Touristen und ausländische Investoren bleiben aus, während die Arbeitslosigkeit vor allem im Landesinneren beständig hoch bleibt.