Indiens Tourismus bricht ein
4. April 2013Seit Anfang des Jahres ist die Zahl der ausländischen Touristen, die Indien besucht, um 25 Prozent gefallen. Unter Frauen fiel der Rückgang noch stärker aus: 35 Prozent weniger Frauen reisten in der Zeit von Januar bis März 2013 nach Indien. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Umfrage der indischen Handelskammer, die jüngst die aktuelle Entwicklung in der heimischen Tourismusbranche unter die Lupe nahm und jetzt von indischen Medien veröffentlicht wurde.
Die Reiseveranstalter des Landes sind zutiefst bestürzt über den Rückgang der Besucher, weil sie in den letzten Jahren erhebliche Summen in die Infrastruktur der Tourismusindustrie investiert haben. Nicht zuletzt, um Touristen aus dem reichen Westen ins Land zu locken.
Praveen Pal, Vertreter der Olga Reiseveranstalter mit Sitz in Delhi, versucht zu beruhigen und spielt die Umfrageergebnisse herunter: "Wir erleben einen moderaten Rückgang bezüglich der Zahl der Touristen, die Indien besuchen. Wenn aber die Situation hier unverändert bleibt oder wenn es neue Vergewaltigungen gibt, kann sich die Lage rapide verschlechtern."
Das Schicksal einer jungen Inderin schockiert die Welt
Der Grund für den Rückgang liegt in den Ereignissen der vergangenen Monate. Die Gruppenvergewaltigung einer jungen Inderin in einem Bus in Neu Delhi am 16. Dezember des Vorjahres schockierte die indische Öffentlichkeit und ging um die Welt. Die zögerliche Reaktion der Politik auf den Vorfall trieb tausende Inder wochenlang auf die Straße und machte Schlagzeilen rund um den Globus.
Als die brutal misshandelte Studentin ihren Kampf mit dem Tod in einem Krankenhaus in Singapur zwei Wochen später verlor, musste die Politik reagieren. Die mutmaßlichen Täter stehen inzwischen in Neu Delhi vor einem neugeschaffenen Schnellgericht. Ihnen droht die Todesstrafe wegen Mordes. Trotz der von der Regierung ergriffenen Maßnahmen verschwand das Thema aber nicht aus den Schlagzeilen.
Frauenorganisationen in Indien verweisen täglich auf die respektlose Einstellung vieler Männer in Indien gegenüber Frauen. Aufgrund der Tötung von Mädchen bei der Geburt sind die Männer in der Überzahl. Das soll das Problem zum Teil erklären. Hinzu kommt das weit verbreitete schlechte Frauenbild.
Aber Indien befindet sich im Umbruch. Junge Inderinnen, inzwischen teilweise besser ausgebildet als ihre männlichen Altersgenossen, ziehen in die Großstädte, um zu studieren oder zu arbeiten. Sie sehen nicht länger ein, dass ihre Sicherheit in den Großstädten nicht gewährleistet werden kann. Eltern sind in hohem Maße um die Sicherheit ihre Töchter besorgt. Zu Recht: In Neu Delhi allein gab es im vergangenen Jahr mehr als 700 Vergewaltigungen. In den ersten drei Monaten 2013 über 300. Selten wurde Anklage erhoben. Die Lage in anderen Großstädten des Landes ist ähnlich. Jyotsna Ojha arbeitet für ein multinationales Unternehmen in Delhi. Sie spricht deutlich aus, was viele Frauen denken: "Indische Eltern machen sich Sorgen um ihre berufstätigen Töchter vor allem wegen der Fahrten ins Büro und nach Hause. Arbeitende Frauen ziehen es vor, sich spätestens um 18.00 Uhr auf den Heimweg zu machen. Danach ist es dunkel und zu gefährlich."
Gewaltsame Übergriffe auf ausländische Frauen
Dass es auch für ausländische Frauen gefährlich ist, zeigen weitere Vergewaltigungsfälle der jüngsten Vergangenheit: Im März wurde eine Touristen aus der Schweiz, die sich mit ihrem Mann auf einer Fahrradtour in Zentralindien befand, von mehreren Männern angegriffen und vergewaltigt. Kurz darauf sprang eine Frau aus Großbritannien aus ihrem Hotelfenster in Agra, da der Hotelmanager versucht haben soll, sich Zugang zu ihrem Zimmer zu verschaffen. Sie befürchtete, vergewaltigt zu werden.
Indische Reiseveranstalter reagieren inzwischen mit Warnhinweisen. Praveen Pal vom Reiseveranstalter Olga erklärte der DW: "Wir weisen die Gäste an, nicht mit Fremden zu sprechen. Wir empfehlen, dass sie das Hotel nicht alleine nach 21 Uhr verlassen sollen. Sie sollen nur in Gruppen unterwegs sein und uns sofort anrufen, falls es Probleme gibt."
Wirtschaftliche Folgen und Hoffnung auf Besserung
Der Umfrage zufolge berichteten 72 Prozent der Veranstalter von Reisestornierungen in erster Linie durch Frauen, vor allem aus Großbritannien, den USA, Kanada und Australien. Touristen, die ihre Reise nach Indien storniert hätten, würden stattdessen in Länder wie Malaysia, Thailand, Indonesien und Vietnam reisen, die als sicherer gelten. Der Trend ist auch deshalb ein schwerer Rückschlag für die indische Tourismusbranche, weil der Zeitraum von Januar bis März die zweite Hälfte der Hochsaison für Indien-Reisende darstellt. 2012 gaben 6,6 Millionen ausländische Touristen etwa 13 Milliarden Euro in Indien aus.
Jyotsna Ojha sieht eine Chance auf Besserung: "Das Positive ist, dass die Menschen jetzt ihre Stimmen erheben. Vor fünf oder sechs Jahren wurden Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch einfach ignoriert. Es wird dauern, aber die indische Mentalität wird sich ändern."