Apotheke der Armen
13. März 2012Die indische Behörde will vor allem eines: Das Medikament Nexavar allen Bedürftigen zugänglich machen - in erster Linie durch einen niedrigeren Preis. Der deutsche Pharmariese Bayer, der das Patent für Nexavar besitzt, bietet das Arzneimittel so teuer an, dass ein Inder für eine Behandlung derzeit rund 5500 US-Dollar - umgerechnet rund 4200 Euro - pro Monat bezahlen muss. Der indische Hersteller Natco hat vorgerechnet, dass er diese Behandlungskosten auf 175 Dollar (rund 135 Euro) senken kann. Damit würden die Patienten fast 97 Prozent der Kosten sparen. Darum hat das Patentamt am Montag (12.03.2012) entschieden, dass Bayer die Lizenz an Natco abgeben muss.
Nexavar wird bei fortgeschrittenem Nieren- und Leberkrebs eingesetzt. Es verlangsamt das Wachstum der Krebszellen, indem es die Blutversorgung hemmt.
"Apotheke der Armen" in Gefahr
Doch es geht um weit mehr als nur um das Mittel Nexavar: Es geht um die Frage, ob Indien auch künftig die "Apotheke der Armen" sein wird. Wenn beispielsweise in Entwicklungs- und Schwellenländern AIDS-Patienten behandelt werden, kommen rund 80 Prozent der Medikamente dafür aus Indien, so Philipp Frisch von der Organisation Ärzte ohne Grenzen: "Deswegen ist Indien für uns ein so wichtiges Land."
Selbstverständlich achten auch indische Pharmaunternehmen auf ihren Profit. Dennoch hat die Geschichte einen Hauch von "Robin Hood": Jahrelang ahmten sie teure patentierte Medikamente nach und verkauften diese sogenannten Generika preiswert auf den Märkten ärmerer Länder. Bis die Welthandelsorganisation WTO dem einen Riegel vorschob und ihre Mitgliedsländer zwang, das internationale Patentschutzabkommen TRIPS umzusetzen. Indien tat das 2005.
Geändertes Patentrecht
Der Sturm des Protests ebbt seitdem nicht ab. Philipp Frisch findet das verständlich: Gerade im Bereich der HIV-Behandlungen seien Patienten auf neuere und modernere Medikamente angewiesen - aber die nach 2005 auf den Markt gekommen Arzneimittel seien wegen des geänderten Patentrechts extrem teuer geworden.
Ein Schlupfloch hat man in Indien offen gelassen: die Möglichkeit einer Zwangslizenz. Und die hat das indische Patentamt nun im Falle des Bayer-Produkts Nexavar zum ersten Mal genutzt.
Ein wegweisendes Urteil
In Indien selbst löst das Urteil Erleichterung aus: "Wenn man solch schockierende Preise verlangt, ist doch klar, dass die Menschen zornig sind", sagt Mira Shiva von der Hilfsorganisation Health Action International Asia Pacific. "Vor allem, wenn es die Möglichkeit gibt, derartige Medikamente billiger anzubieten."
Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen sieht in dem Urteil einen Präzedenzfall. "Wir hoffen, dass von dieser Zwangslizenz ein Signal ausgeht, das auch auf andere Bereiche ausstrahlt und für Mittel gegen andere Krankheiten angewandt wird."
Ähnlich sieht das Jörg Schaber von der Organisation BUKO Pharma-Kampagne, die seit Jahren die Monopolstellung westlicher Pharmakonzerne kritisiert. Das Urteil sei "nicht der Durchbruch, aber ein wichtiger Schritt", sagt Schaber. Indien demonstriere, dass es die Möglichkeit, Medikamente mit Hilfe von Zwangslizenzen allen Bedürftigen zugänglich zu machen, auch in die Tat umsetzen könne: "Insofern hat das schon eine Signalwirkung."
In der Zentrale des deutschen Pharmakonzerns ist man - erwartungsgemäß - "enttäuscht". Auf Anfrage der DW hieß es knapp, Bayer analysiere nun das Urteil und prüfe rechtliche Schritte.
Autor: Klaus Dahmann
Redaktion: Beate Hinrichs