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Im Osten nichts Neues

Marcel Fürstenau 4. Oktober 2002

Hohe Arbeitslosigkeit, abwandernde Jugend, Politikverdrossenheit: Zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung ist immer noch nicht so richtig zusammengewachsen, was zusammengehört.

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Trabbi und Datsche: Sinnbilder ostdeutscher LebensartBild: lpb

"Wir sind das Volk!" - dieser Satz hallte im Herbst 1989 wochenlang durch die Straßen, als Hunderttausende in der DDR gegen das kommunistische Regime demonstrierten. Es dauerte nicht lange, bis diese berühmte Protest-Parole an einer entscheidenden Stelle verändert wurde: Aus "Wir sind das Volk!" wurde "Wir sind ein Volk!"

Damit war klar, was die meisten Ostdeutschen wollten: die Wiedervereinigung Deutschlands. Und tatsächlich lag zwischen dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 weniger als ein Jahr.

Leben im Zweiklassen-Staat

Mittlerweile leben die Deutschen sei zwölf Jahren in einem Staat, doch so richtig vereinigt fühlen sich die allerwenigsten. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ‚Emnid' im Auftrag der Zeitschrift "Bildwoche" zufolge bejahen nur 17 Prozent der Ostdeutschen den Satz: "Ja, wir sind wieder ein Land!" Im Westen sind es immerhin 37 Prozent. Ernüchternde, nachdenklich stimmende Zahlen. Die Gründe dafür sind vielfältig, wobei die nach wie vor nicht vollzogene Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West diese Wahrnehmung wesentlich beeinflussen dürfte.

Sorgenkind Arbeitsmarkt

Am gravierendsten sind die Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. Das ostdeutsche Einkommensniveau liegt in der Privatwirtschaft oft noch rund 20 Prozent unter dem westdeutschen. Was letztlich auch die meistens wesentlich niedrigere Produktivität widerspiegelt. Und wegen fehlender Investitionen ist die offizielle Arbeitslosenquote mit knapp unter 20 Prozent doppelt so hoch wie im Westen.

Spektakuläre Ansiedlungen und damit verbunden die Schaffung neuer Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang bleiben die Ausnahme. Hoffnungsschimmer sind die neuen Produktionsstätten der Auto-Hersteller BMW und Porsche im Bundesland Sachsen. Besonders strukturschwache Regionen wie das Küstenland Mecklenburg-Vorpommern setzen auf sogenannten weichen Tourismus, die Verknüpfung von Natur und Urlaub. Traditionelle Arbeitgeber wie die Werftindustrie kämpfen ums Überleben und befinden sich neben der innerdeutschen Konkurrenz auch im Wettbewerb mit osteuropäischen und asiatischen Unternehmen.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner

Nimmt man alle Faktoren zusammen, fällt es schwer, an eine baldige Wende zu glauben. Und entsprechend ist die Stimmung in Ostdeutschland. Immer mehr junge Menschen gehen in den Westen, weil dort die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, besser sind. Dadurch sinkt im Osten die Bevölkerungszahl. Ein Trend, der durch eine im Vergleich mit dem Westen geringere Geburtenrate noch verstärkt wird.

Lauter Probleme, für die es keine kurzfristigen Lösungen gibt. Politiker quer durch die Parteien tun sich schwer, und das Vertrauen in Parteien und Verbände nimmt ständig ab. Was sich unter anderem in einer geringen Wahlbeteiligung niederschlägt: nur knapp 73 Prozent der Ostdeutschen machten bei der Bundestagswahl am 22. September von ihrem Recht Gebrauch, gegenüber knapp 81 Prozent im Westen.

Und auch im Wahlverhalten offenbaren sich weiterhin große Differenzen. Zwar büßte die aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangene PDS Stimmen ein und sackte von über 21 auf unter 17 Prozent. Doch kann im Umkehrschluss mit Ausnahme der Sozialdemokraten keine Partei für sich in Anspruch nehmen, eine Art gesamtdeutsche Partei zu sein. Lediglich die SPD erzielte in Ost und West ein annähernd gleiches Ergebnis.

Kein Ostdeutscher nirgends

Zwölf Jahre nach der deutschen Vereinigung sind sich die Menschen in vielen gesellschaftlichen Bereichen nur wenig näher gekommen. Noch immer fühlen sich Umfragen zufolge die meisten Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse. Wohl auch deshalb, weil sich Ostdeutsche, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung von 84 Millionen rund ein Fünftel ausmacht, weit unterdurchschnittlich in einflussreichen Positionen wiederfinden. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft oder die Wissenschaft.

In der amtierenden Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nur eine Ostdeutsche, und zwar Familienministerin Christine Bergmann. Und die wird wohl dieses Amt nicht wieder antreten. Was ostdeutsche Sozialdemokraten dazu veranlasst hat, für die bevorstehende Neubildung des Kabinetts mehr Politiker aus ihren Reihen zu berücksichtigen.

Die geringe Repräsentanz Ostdeutscher schlägt sich aber auch auf ganz anderen Feldern nieder. So sitzen nur wenige in Chefsesseln von Zeitungen und Rundfunk-Sendern. Kaum vertreten ist das Gebiet der ehemaligen DDR auch in der angeblich wichtigsten Nebensache der Welt: im Fußball. In der 18 Vereine umfassenden Bundesliga spielen mit Hansa Rostock und Energie Cottbus nur zwei ostdeutsche Mannschhaften. In den vergangenen Jahren sind sie stets nur knapp dem Abstieg in die Zweitklassigkeit entgangen ...