Im Laufschritt nach Brüssel
8. Dezember 2002Die Slowaken gelten als große Europa-Optimisten. 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung sind für den Beitritt. Nach Ansicht des slowakischen EU-Chefunterhändlers, Jan Figel, gibt es drei gute Gründe, die für Europa sprechen: "Die EU bringt uns Stabilität, Sicherheit und Prosperität." Viele Generationen von Slowaken hätten in der Vergangenheit oft im Ausland nach Freiheit und Arbeit suchen müssen. "Heute geht es uns darum, eine Perspektive von Freiheit und Wohlstand für alle in der Slowakei zu schaffen", so Figel. In Sachen Europa gebe es deshalb einen starken gemeinsamen Willen im Land.
Das Land beantragte die EU-Mitgliedschaft bereits 1995. Doch die EU verwies auf Demokratie-Defizite und schloss die Slowakei zunächst von der ersten Beitrittsrunde aus. Der Grund war der autoritäre Regierungsstil des damaligen Premiers, Vladimir Meciar, der immer wieder gegen den Westen wetterte. Die Slowakei sei deshalb zwischen 1994 und 1998 nicht mit den Grundregeln eines freien und demokratischen Europa vereinbar gewesen, sagt Figel.
Wandel nach Regierungswechsel
Dies änderte sich jedoch rasch nach dem Wahlsieg des so genannten Anti-Meciar-Bündnisses unter der Führung von Mikulas Dzurinda. Er machte die Westintegration zur Chefsache. Seine Bilanz lässt sich sehen: Aus dem Katalog von insgesamt 30 Kapiteln mit konkreten Reformaufgaben für die Beitrittskandidaten hat die Slowakei 28 Kapitel in 32 Monaten erledigt. Damit gehört das Land bei den Verhandlungen mit Brüssel heute zu den Spitzenreitern. Das ist beachtlich, denn die EU hat die Beitrittsverhandlungen mit der Slowakei erst im Februar 2000 aufgenommen - fast zwei Jahre später als mit Tschechien.
Die slowakische Wirtschaftsleistung erreicht derzeit knapp 50 Prozent des Durchschnitts der EU-Länder. 2001 betrug das Wachstum 3,3 Prozent, das Brutto-Inlands-Produkt knapp 23 Milliarden Euro. Die Slowakei wickelt bereits heute 60 Prozent des Außenhandels mit der EU ab. Vom Wirtschaftsaufschwung profitieren allerdings nicht alle Slowaken. Der Wohlstand ist ungleich verteilt. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote lag im September bei 17,8 Prozent. Im Osten und Süden des Landes gibt es Regionen, in denen sie sogar 30 Prozent erreicht. In der Hauptstadt Bratislava dagegen reicht die Kaufkraft der Bürger bereits an den EU-Durchschnitt heran und die Arbeitslosigkeit ist mit weniger als sechs Prozent sogar niedriger als in vielen EU-Ländern.
Tiefgreifende Reformen versprochen
Die neue slowakische Mitte-Rechts-Regierung, die aus der September-Wahl hervorgegangen ist, hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Dzurindas zweites Kabinett verspricht eine rasante Wirtschaftsliberalisierung: Steuersenkungen, Sanierung der Staatsfinanzen, rasche Reformen der Sozialversicherungen und der Gesundheits- und Bildungspolitik. In absehbarer Zeit soll die Slowakei so zu den westeuropäischen Ländern aufschließen. Doch es bleibt noch viel zu tun. Neben der hohen Arbeitslosigkeit muss auch die Korruption bekämpft werden. Nachholbedarf gibt es auch beim Schutz von Minderheiten sowie beim Umbau der Verwaltung und der Umsetzung EU-finanzierter Projekte.
In dem Land, das nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aus der ehemaligen Tschechoslowakei hervorgegangen ist, hat sich inzwischen vieles verändert. Das Verhältnis zum einstigen "großen Bruder" Tschechien hat sich verbessert. Die Tschechen gelten nicht mehr als böse Kapitalisten. Selbst in militärischen Fragen sei man sich näher gekommen, sagt Chef-Unterhändler Figel. Heute gebe es sogar eine gemeinsame tschechisch-slowakische Friedenseinheit, die im Kosovo eingesetzt werde.