"Magnus - Mozart des Schachs"
10. November 2016Ein kleiner Junge, ganz in sich versunken. Um ihn herum spielen Kinder. Der Junge scheint zu träumen. Nächste Szene: Die Familie sitzt im Wohnzimmer, die Eltern unterhalten sich, die Geschwister blödeln herum. Und wieder: Der Junge, ein wenig älter inzwischen, träumt vor sich hin, ist scheinbar abwesend.
Magnus Carlsen - ein Genie
Der Junge heißt Magnus Carlsen. Inzwischen ist er, wiederum ein paar Jahre älter, amtierender Schachweltmeister. In den nächsten Tagen und Wochen wird er versuchen seinen WM-Titel in New York zu verteidigen. "Magnus - Der Mozart des Schachs" hat der norwegische Regisseur Benjamin Ree seinen Dokumentarfilm betitelt und dem Betrachter wird beim Zuschauen schnell klar, dass dieser Vergleich nicht zu hoch gegriffen ist.
Magnus Carlsen ist ein Genie. Zumindest ein Genie des Schachspiels. Der Film zeichnet den Aufstieg des jungen Magnus zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten eindrucksvoll nach. Ihm gelingt das vor allem, weil sich Regisseur Ree auf viele private Szenen aus der Kindheit und Jugend von Magnus und seiner Familie stützen kann. Wie eben jene, die den kleinen Jungen mit seinen Eltern und Geschwistern zeigt, beim Spielen und Träumen, beim Wandern und gemeinsamen Essen.
Magnus verlässt sich auch auf seine Intuition
Während andere herausragende Schachspieler der Gegenwart - wie auch der mehrfache indische Weltmeister Viswanathan Anand, den Carlsen 2013 beim Kampf um den Titel schlug - sich mit Hilfe von Computerprogrammen vorbereiten, gelingen dem Norweger seine Siege scheinbar spielerisch und mühelos.
"Schach wird als Prüfstein des Intellekts betrachtet, der ultimative Kampf der Köpfe. Magnus Carlsen wurde innerhalb der letzten 15 Jahre zum bestplatziertesten Spieler aller Zeiten. Mich fasziniert, dass niemand zu verstehen scheint, wie Magnus Carlsen so gut werden konnte - nicht einmal er selbst", sagt Regisseur Ree über seinen Landsmann.
Magnus habe sich das Spiel auf eine komplett andere Art und Weise als die erfolgreichsten Schachspieler in der Geschichte angeeignet, so Ree: "Anstelle von Disziplin und Struktur wird er von einer spielerischen Art und Neugier getrieben." Als Regisseur, habe er verstehen wollen, "wie Magnus Geist funktioniert und dabei auch herausfinden, wer er auf einer tieferen menschlichen Ebene ist."
Magnus Carlsen bleibt ein Rätsel...
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Auch Magnus Carlsen arbeitet mit Rechnern. "Computer sind sicherlich sehr wichtig. Alle meine Analysen habe ich mit Hilfe von Rechnern durchgeführt. Man braucht sie ständig", erzählte der Norweger in einem Gespräch mit der Deutschen Welle noch vor ein paar Monaten.
Regisseur Ree ist es trotz dieses Widerspruchs gelungen, das Schachgenie Magnus Carlsen dem Zuschauer näher zu bringen. Und doch bleibt ein Rätsel. Aber das muss wohl auch sein. Ein Genie lässt sich nicht erklären.
Der Regisseur zeichnet das Bild eines hochbegabten Kindes, das schon mit ganz jungen Jahren ein erstaunliches Gespür für das Spiel entwickelt und beharrlich daran arbeitet, immer besser zu werden. "Magnus - Der Mozart des Schachs" ist aber kein Film für Experten. Ree steigt nicht in die Details des Spiels ein, hält sich mit Fachtermini zurück. Das kommt dem unkundigen Zuschauer zu Gute. "Magnus" ist ein Film für ein breiteres Publikum, ein Film über den Aufstieg eines Genies, weniger über das Schachspiel an sich.
Zweitjüngster Großmeister aller Zeiten
Das Geheimnis des Magnus Carlsen lässt sich auch nach 80 Filmminuten nicht vollständig entschlüsseln. Zwar zeigt Benjamin Ree die einzelnen Stationen des Aufstiegs Magnus Carlsens, seine ersten Siege, den Triumph mit 13 Jahren, als er zweitjüngster Großmeister aller Zeiten wird, den glücklichen Sieg beim Kandidatenturnier 2013 in London sowie den Gewinn der WM 2013 gegen Anand in dessen Heimatstadt Chennai. Doch in den Kopf von Magnus Carlsen schauen, kann der Film nicht.
Was spielt sich dort ab? Welche Gedanken bewegen den Jungen und den Heranwachsenden zwischen den Spielen, in den Warteräumen der Austragungsorte, einsam am Brett? Magnus Carlsen träumt scheinbar oft vor sich hin, in Wirklichkeit denkt er aber wohl nach.
Der anfangs sehr introvertierte Junge hat sich in den letzten Jahren, spätestens seit dem WM-Triumph, verändert. Auch das zeigt der Film. Nach dem Sieg gegen den amtierenden indischen Weltmeister springt Carlsen vollbekleidet ins Wasser - und lässt einen gewaltigen Ur-Schrei los. Es klingt wie eine Befreiung.
Auf dem Weg zum Pop-Idol
In den Jahren nach dem WM-Sieg hat sich Carlsen geöffnet, gibt Interviews und macht Modeaufnahmen. Er taucht in der Öffentlichkeit auch außerhalb der Schachszene auf. Magnus Carlsen ist inzwischen so etwas wie ein junger Popstar des Schach und will seine Liebe zum Spiel weitertragen: "In der Tat bemühe ich mich darum, dass mehr Menschen auf der Welt Schach kennenlernen", so Carlsen gegenüber der DW. Das wichtigste sei für ihn aber auch in Zukunft, weiterhin gut Schach zu spielen. "Wenn ich nicht so gut wie es mir möglich ist, Schach spielen kann, kann ich auch nicht das Ziel verfolgen, Schach zugänglicher und bekannter zu machen."
"Magnus - Der Mozart des Schach" ist eine sehr emotionale filmische Reise in die Welt des Schachspiels geworden. Und die bestmögliche Vorbereitung auch für diejenigen, die sich nicht auskennen mit dem Spiel und nun in den nächsten Tagen die Ereignisse beim WM-Kampf zwischen dem russisch-ukrainischen Herausforderer Sergej Karjakin und dem jungen Genie Magnus Carlsen verfolgen werden.