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"Ich muss ein Monster sein"

Diana Fong / cw3. März 2015

Pädophilen ist es unmöglich, ihre sexuelle Präferenz für Kinder zu ändern. Deshalb müssen sie aber nicht zu Kinderschändern werden - auch, weil es therapeutische Hilfe gibt. Ein Erfahrungsbericht eines Pädophilen.

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Mann vor Lichtstrahl (Foto: Fotolia/lassedesignen)
Bild: Fotolia/lassedesignen

Max Weber (Name von der Redaktion geändert) ist klein, ein wenig stämmig und sieht mit seinem verschmitzten Lächeln noch jung aus für einen Mann, der fast 30 Jahre alt ist. Aufgewachsen ist er in der Nähe von Berlin. Er begann ein Ingenieurstudium, doch das musste er bald abbrechen: Zu groß waren die psychologischen Probleme, die offensichtlich in Zusammenhang standen mit seiner pädophilen Veranlagung. Es ist ein Problem, das Max Weber - aber auch andere Pädophile - plagt: Sie können niemals eine sexuelle Beziehung mit der Partnerin oder mit dem Partner führen, zu dem sie sich hingezogen fühlen: zu Kindern.

"Ich habe mit 14 oder 15 Jahren gemerkt, dass ich auf Kinder stehe", erzählt Weber im Rückblick. "Aber ich habe nicht realisiert, dass das nicht normal ist. Ich habe gedacht, dass es jedem so geht, nur keiner darüber redet", erzählt er der Deutschen Welle. Webers echtes sexuelles Erwachen fand dann ausgerechnet während eines Sommerurlaubs an der Ostsee statt. Nacktbaden ist hier Normalität. "Da waren drei nackte Mädchen, sechs, sieben und acht Jahre alt. Ich selbst war 18 oder 19", sagt er. "Ich baute Sandburgen. Die Mädchen interessierten sich dafür und halfen mir. Plötzlich hatte ich sexuelle Phantasien mit diesen Mädchen. Mir wurde bewusst, dass es wohl das ist, was als Pädophilie bezeichnet wird - und ich habe Angst bekommen."

Immer wieder kommen Kinderschänder nach grauenvollen Taten in die Schlagzeilen. Aber ein Pädophiler ist nicht automatisch ein Kinderschänder - er, und viel seltener sie, ist in jedem Falle aber jemand, der sich von Kindern sexuell angezogen fühlt. "Wenn ich mich zu Kindern hingezogen fühle, muss ich eigentlich ein Monster sein", dachte Weber über sich selbst. Sein eigener Kenntnisstand über Pädophilie war zu dieser Zeit sehr begrenzt - alles, was er wusste, entstammte reißerischen Pressemeldungen: "Die Zeitungen verkündeten 'Pädophiler tötet Kind'", erzählt Weber.

"Ich dachte nur: Welche Chance habe ich selbst, durchs Leben zu kommen, ohne eine Schreckenstat zu begehen? Ich möchte keinem Kind Leid zufügen." Weber hat niemals ein Kind sexuell belästigt.

Kamagne der Charité Berlin gegen Kinderpornographie (Foto: Charité Berlin)
"Kein Täter werden" - dieser Slogan richtet sich an PädophileBild: Charité Berlin

Aus allen sozialen Schichten

Da die meisten Pädophilen nur in Erscheinung treten, wenn sie des Kindesmissbrauchs überführt werden, ist es schwer zu sagen, wie viele Menschen Webers sexuelle Präferenz teilen. Schätzungen gehen davon aus, dass es sich in Deutschland und andernorts um ein Prozent der männlichen Bevölkerung handelt - und zwar in allen Schichten. Es gibt auch Frauen, die sich an Kindern vergehen. Vier Prozent aller Sexualstraftaten werden von Täterinnen begangen.

"Die Vorstellung, dass es sich bei Pädophilen um alte, graue Männer handelt, ist einfach falsch", sagt auch Lisa Meier, eine Psychologie-Studentin, die zurzeit ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Sexualopfer mitarbeitet. "Pädophile - das sind unsere Nachbarn, unsere Lehrer, möglicherweise der eigene Vater oder enge Freunde. Man kann ein Punk-Konzert besuchen und da laufen Pädophile mit roten oder grünen Haaren rum." Lisa Meier ist mit Weber befreundet und weiß, dass er pädophil ist.

Die sexuelle Vorliebe für Kinder ist eine Voreinstellung, die niemand ändern kann. Wer Übergriffe von Pädophilen auf Kinder verhindern will, muss dafür sorgen, dass Pädophile ihre sexuelle Neigung niemals ausleben. "Wir können unsere Kinder schützen, indem wir Pädophilen Hilfsangebote wie Therapien ermöglichen. Dabei ist es sehr wichtig, dass wir Menschen für ihre sexuelle Neigung nicht stigmatisieren", betont Meier.

Hilfsangebote für Pädophile

Seit ein paar Jahren gibt es in Berlin ein Projekt, das versucht, Pädophilen zu helfen. Die Gruppe "Prävention Dunkelfeld" macht in öffentlichkeitswirksamen Kampagnen ganz gezielt auf ihre Arbeit aufmerksam. "Kein Täter werden" lautet ihr Slogan - erreicht werden sollen vor allem die Pädophilen, die nicht ohnehin schon aufgrund von Kindesmissbrauch auffällig wurden und strafrechtlich verfolgt werden. Es war Webers Mutter, die den TV-Spot der Gruppe im Internet sah und ihm vorschlug, sich zu melden. Für Weber war das ein Segen.

Viele Jahre in psychotherapeutischer Behandlung haben Weber mittlerweile in die Lage versetzt, sich mit seiner sexuellen Präferenz abzufinden - und Erfüllung zu finden in der Interaktion mit Erwachsenen. Zuvor ist ihm das nie gelungen. Er fühlte sich immer nur in der Umgebung von Kindern wohl.

Eine Zeit lang nahm er auch Medikamente zur Unterdrückung seiner Sexualität. Allerdings litt er unter einer der Langzeitwirkungen des Medikaments: Depression. Aus diesem Grund verzichtet er jetzt wieder auf die Pillen.

Im täglichen Leben hat Weber wenig Kontakt mit Kindern. Ganz bewusst. Auch seinen Beruf als Ingenieur hat er danach ausgesucht. An öffentlichen Orten ist es allerdings schwer, Kinder ganz zu meiden.

Ein Junge im Körper eines Mannes

"Manchmal sehe ich Kinder auf der Straße oder im Zug und ich fühle mich dann so leer und einsam", erzählt Weber. Viele Pädophile träumen von einer liebevollen Beziehung und Geschlechtsverkehr mit einem Kind. "Das sind Phantasien, die ich niemals hatte. Ich träume von sexuellen Spielen mit Mädchen, so etwas wie Doktor-Spiele. Als Kind wollte ich schon nicht erwachsen werden", sagt er. Weber ist an einen Punkt gekommen, an dem er seine sexuelle Präferenz akzeptiert - auch, weil er nicht glaubt, sie noch ändern zu können. Er gesteht sich ein, dass es ein Teil von ihm ist. Die Unmöglichkeit sexueller Erfüllung ist dabei nicht der schlimmste Teil der Pädophilie für ihn. Es ist das permanente Gefühl, eine Lüge zu leben - einen so großen Teil seiner Identität verschleiern zu müssen.

Selbst Lisa Meier, die keine Kinder hat, hat Bedenken ihrem Freund gegenüber: "So sehr ich ihm als Person traue - und er ist ein sehr guter Mensch - ich würde immer anwesend sein wollen, wenn er Zeit mit meinen Kindern verbringen würde." Weber weiß, dass er - auch wenn er selbst kein Sexualstraftäter ist - seine sexuelle Präferenz geheimhalten muss, weil sie bei seinen Mitmenschen zu viel Unbehagen verursacht. "Viele würden mich als menschliches Wesen nicht mehr akzeptieren, wenn ich ihnen davon erzählen würde", sagt er. "Es ist viel schlimmer, mit diesem Geheimnis und der Einsamkeit umzugehen als mit der Pädophilie selbst."