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Die dunkle Vergangenheit der Grünen

Jens Thurau12. November 2014

Wie stark war der Einfluss pädophiler Forderungen auf die Programme der Grünen? Die Partei hat sich Zeit gelassen mit der Aufarbeitung, entschuldigt sich klar bei den Opfern - und wird die Vergangenheit doch nicht los.

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Parteitag der Grünen 1987 in Duisburg
Bild: picture-alliance/dpa

Franz Walter steht nicht im Verdacht, ein Anhänger der Grünen zu sein. "Ich bin ein biederer Sozialdemokrat, bei uns gab es so etwas nicht", entfährt es dem Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Seit Dezember 2013 hat er erforscht, wie das war Anfang der 1980er-Jahre, als die Grünen sich gründeten. Beauftragt haben ihn die Grünen selbst.

Sein Fazit: In vielen grünen Programmen tauchten damals Forderungen auf, sexuelle Kontakte von Kindern mit Erwachsenen nicht länger zu verbieten. So nachzulesen in Walters Abschlussbericht, einem dicken Buch von fast 300 Seiten. Zusammen mit der Parteichefin der Grünen, Simone Peter, hat er den Bericht jetzt in Berlin vorgestellt.

Was soll Partei damit nun machen? Da windet sich der Professor: "Die moralische Schlussfolgerung ist Sache der Grünen, das geht mich nichts an", sagt er schließlich. Dabei ist klar: Es gab solche Forderungen nicht nur zahlreich, sie wurden zumeist auch weitgehend unkritisch in die Programme übernommen.

Politologe Franz Walter (Foto: dpa)
Politologe Franz WalterBild: picture-alliance/dpa

Entschuldigung bei den Opfern

Für die Grünen-Chefin Simone Peter steht deshalb fest: "Wir sind den inakzeptablen Forderungen nicht in der nötigen Konsequenz entgegengetreten und haben erst viel zu spät die Verantwortung übernommen. Das war falsch und wir bedauern, dass viele Jahre verstrichen sind, ohne eine vollständige Aufklärung und Aufarbeitung herbeizuführen. Wir entschuldigen uns deshalb nochmals bei allen Opfer sexuellen Missbrauchs, die sich durch die grünen Debatten in den 1980er-Jahren in ihrem Schmerz und Leid verhöhnt fühlten."

Die Diskussion über dieses dunkle Kapitel der Parteiengeschichte traf die Grünen vor gut einem Jahr zur Unzeit, in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl. In Zeitungsberichten hieß es, dass Jürgen Trittin, früherer Bundesminister und Spitzenkandidat der Grünen, Anfang der 1980er-Jahre presserechtlich für ein Kommunalwahlprogramm verantwortlich war, in dem pädophile Positionen vertreten wurden. Trittin wand sich, sprach davon, dass er selbst die Forderung nicht gekannt habe, in der chaotischen Anfangszeit der Partei aber Positionen von vielen Gruppen in den sozialen Bewegungen unkontrolliert Eingang in grüne Programme gefunden hätten. Die Wahl 2013 endete für die Partei dann mit einem enttäuschenden Ergebnis - nicht zuletzt wegen der Pädophilie-Debatte.

"Der Zeitgeist war halt so"

Immer wieder, erzählt jetzt der Politikwissenschaftler Walter, sei ihm bei seiner Arbeit dieses Argument begegnet: "Der Zeitgeist sei halt so gewesen damals, hörte ich dann auch von Spitzengrünen." Eine Entschuldigung sei das aber nicht. Streng wissenschaftlich versuchte sich der Professor der Thematik zu nähern: In den 1960er-Jahren bereits hätte es im linksliberalen Milieu der Bundesrepublik eine "antirepressive" Grundstimmung auch bei Debatten um die Sexualmoral gegeben. Mehr Spaß beim Sex lautete die Parole, mehr Fantasie, keine Strafen mehr für Schwule und Lesben. Verdienstvolle Positionen, aber in ihrem Fahrwasser wurden eben auch Stimmen laut, Pädophilie nicht länger unter Strafe zu stellen.

Unterstützt von einer verqueren Wissenschaftlichkeit ("Es wurde einfach behauptet, es gäbe keine Erkenntnisse, wonach Sex mit Erwachsenen Kindern schade", so Walter) hätten solche Positionen sich bis in die 1980er-Jahre gehalten. "Davon waren aber nicht nur die Grünen, sondern auch Teile der FDP betroffen." Und hier spart der Professor dann nicht mit Lob für die heutigen Grünen. Sie hätten sich der schwierigen Debatte offen gestellt: "Ich muss zugeben, dass ich unter so günstigen Bedingungen noch nicht geforscht habe." Alle Archive der Partei hätten ihm offen gestanden.

Ein Ergebnis sei dabei gewesen, dass sich Minderheiten mit noch so verwerflichen und abstrusen Positionen damals relativ leicht Gehör bei den Grünen hätten verschaffen können. "Sie wurden zumeist nicht hinterfragt, wurden sogar als etwas besonders Wertvolles angesehen. Übersehen wurde, dass eine Partei nicht nur ein Debattierklub ist, sondern zur Willensbildung beitragen soll." Dafür würden Parteien vom Staat dann ja auch finanziell unterstützt.

Kritik aus den eigenen Reihen

Simone Peter hebt dann noch einmal hervor, dass die Grünen sich ab Mitte der 1980er Jahre von pädophilen Forderungen distanziert hätten. Aber sie weiß, dass die Debatte der Partei wohl erhalten bleibt. Gerade jüngere Mitglieder wollten von der Älteren wissen, wie es damals zur Duldung solcher Ansichten habe kommen können.

Und deshalb wird der Bericht von Franz Walter auf dem Hamburger Parteitag der Grünen in gut zehn Tagen auch noch einmal breit diskutiert. Die Jungen werden die Älteren dabei nicht mit Kritik verschonen.