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Politik

ICC: Das Weltgericht kommt in die Jahre

17. Juli 2018

Ein Gericht, das ungeachtet nationaler Belange dem universalen Völkerstrafrecht Geltung verschafft - das war die Gründungsidee des Internationalen Strafgerichtshofs vor 20 Jahren. Und jetzt?

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Den Haag Internationaler Strafgerichtshof IStGH / ICC
Bild: picture-alliance/dpa/M. Beekman

Es soll eine bewegte Sitzung gewesen sein, in Rom im Juli 1998. Drei Jahre lang war auf Geheiß der Vereinten Nationen in Sachen  International Criminal Court (ICC) mit Sitz in Den Haag verhandelt worden. Nun fand auf Beschluss der UN-Generalversammlung eine dreitägige diplomatische Bevollmächtigtenkonferenz statt, auf der der völkerrechtliche Vertrag zur Errichtung des Gerichtshofs abgestimmt werden sollte.

Es waren insbesondere die Deutschen, die sich unter der Leitung des damaligen Bundesaußenministers Klaus Kinkel für einen Strafgerichtshof einsetzten, der unabhängig sein sollte. Das war bei den als Vorläufer geltenden Institutionen des ICC, dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien und dem UN-Völkermordtribunal für Ruanda noch anders. Der UN-Sicherheitsrat hatte die Tribunale Anfang der 1990er Jahre als vollständig untergeordnete Einrichtungen geschaffen und ihnen damit keine Unabhängigkeit gewährt.

Einfluss, auch von politischer Seite

Der UN-Sicherheitsrat wählte Richter und Ankläger aus und behielt so Einfluss bis hin zur Möglichkeit, diese Tribunale jederzeit wieder zu schließen. Das sollte bei dem neu einzurichtenden Strafgerichtshof anders sein. Ihm sollte der UN-Sicherheitsrat lediglich per Resolution Ermittlungen übertragen können. Auch über die souveräne Entscheidung von Staaten hinweg, die dem Gericht nie beigetreten sind. Beim Sudan und Libyen ist das später der Fall gewesen.

UN-Generalsekretär Kofi Annan und der italienische Außenminister Laberto Dini 1998
Startschuss für den ICC im Juli 1998: UN-Generalsekretär Annan und der italienische Außenminister DiniBild: picture-alliance/dpa/L. Del Castillo

Eine universelle Gerichtsbarkeit, die die nationale Souveränität berühren würde, war und ist für die USA und auch andere Staaten allerdings inakzeptabel.  Könnten doch US-Soldaten aufgrund ihrer weltweiten militärischen Präsenz vor dem Strafgerichtshof landen. Auch lehnen die USA die "Aggression", also das Führen eines Angriffskrieges, als Tatbestand ab. Als Zugeständnis gegenüber den Amerikanern wurde die Aggression 1998 daher noch ausgeklammert. Erst 2010 wurde sie als Kerntatbestand aufgenommen.

Massiver Widerstand

Die USA versuchten daher mit allen Mitteln, einen internationalen Strafgerichtshof zu verhindern. Die Vereinigten Staaten drohten beispielsweise Deutschland damit, ihre Streitkräfte aus der Bundesrepublik abzuziehen - ohne Erfolg. Am 17. Juli 1998 wurde das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs mehrheitlich angenommen. 120 Staaten stimmten dafür, 21 enthielten sich. Sieben, nämlich China, Irak, Israel, Jemen, Libyen, Katar und die USA, stimmten dagegen.

Zwar ließ US-Präsident Bill Clinton das Statut kurz vor dem Ende der Erklärungsfrist am 31. Dezember 2000 unterschreiben, weil er fürchtete, sonst gar keinen Einfluss mehr auf die Ausgestaltung des Gerichtshofs zu haben. Sein Nachfolger George W. Bush widerrief die Zustimmung jedoch knapp zwei Jahre später komplett.

Militärischer Einmarsch in den Niederlanden?

Es gab sogar einen Gesetzesvorschlag, der US-Behörden verbieten sollte, mit dem Internationalen Strafgericht zusammenzuarbeiten. Der Präsident sollte ermächtigt werden, im Ernstfall "alle notwendigen und angemessenen Mittel zu nutzen", um amerikanische Staatsbürger und Bürger ihrer Alliierten aus der Obhut des Gerichtshofs zu befreien. In den Niederlanden nannte man es das "Den-Haag-Invasions-Gesetz".

Das Verhalten der USA löste nicht nur Empörung aus, sondern spornte die Befürworter des ICC weiter an. Fünf Jahre hatte man für die Ratifizierung des Rom-Statuts veranschlagt. Ein von Regierungen ausgehandelter völkerrechtlicher Vertrag wird erst wirksam, wenn die nationalen Parlamente ihre Zustimmung gegeben haben und das Staatsoberhaupt den Vertrag mit seiner Unterschrift bestätigt hat. 60 Ratifizierungsurkunden waren nötig, um den Strafgerichtshof tätig werden lassen zu können. Das war am 1. Juli 2002 der Fall, ein Jahr früher als erwartet.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Im März 2003 wurden die ersten 18 Richterinnen und Richter vereidigt. Gewählt in geheimer Wahl von den Vertragsparteien des Rom-Statuts. Unter ihnen war der deutsche Jurist und Diplomat Hans-Peter Kaul. "Der Strafgerichtshof ist wie ein Leuchtturm, der jeden Tag das Signal aussendet, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression sind verboten", formulierte Kaul 2014, kurz vor seinem Tod. Welcher politische und militärische Führer dies auch immer missachte, riskiere theoretisch, vor dem Strafgerichtshof zu landen.

Niederlande Timbuktu Gerichtsprozess gegen Al Mahdi Anklägerin Fatou Bensouda
Fatou Bensouda ist seit 2012 Chefanklägerin in Den HaagBild: picture-alliance/AP Photo/B. Czerwinski

20 Jahre nach der Unterzeichnung des Rom-Statuts muss man die Betonung wohl auf "theoretisch" legen. Zwar sind inzwischen 123 Staaten beigetreten, doch China, die USA, Russland, Indien, fast alle arabischen Staaten sowie Israel und Iran sind nicht darunter. Die Crux des Internationalen Strafgerichtshofs ist zudem, dass er nur dann ermitteln und richten kann, wenn das Land des Täters oder des Tatorts Mitglied des ICC ist, oder wenn ein Nicht-Mitgliedstaat die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs bejaht und ein Verbrechen in Den Haag vor Gericht bringen will.

Ein Austritt schützt nicht vor Verfolgung

Die Mitgliedschaft im Römischen Statut beruht auf Freiwilligkeit, ein Austritt ist per Erklärung möglich. Davon machte 2016 Burundi Gebrauch. Präsident Pierre Nkurunzuza sah sich im Fadenkreuz des Strafgerichtshofs, nachdem er eine verfassungswidrige dritte Amtszeit erzwungen und Menschenrechtler, Journalisten und Oppositionelle verfolgt hatte. Der Strafgerichtshof will trotzdem weiter ermitteln. Nkurunzuza will das zwar nicht zulassen, das Gericht betont aber seine Zuständigkeit für die Zeit, in der Burundi Mitglied des ICC war. Daraufhin erklärte Gambia rein vorsorglich seinen Austritt, ebenso Südafrika. Beide Länder machten jedoch später einen Rückzieher.

2010 wurde der kenianische Finanzminister Uhuru Kenyatta wegen Anstiftung zum Mord, Vertreibung und Raub während der Wahlen im Jahr 2007 angeklagt. 2013 wurde Kenyatta zum Präsidenten in Kenia gewählt. Das Parlament beschloss daraufhin, den Strafgerichtshof zu verlassen. Davon wurde abgesehen, nachdem die Anklage gegen Kenyatta Ende 2014 aus Mangel an Beweisen zurückgezogen wurde.

Von Bullshit und weißen Idioten

Russland hatte das Rom-Statut zwar unterschrieben aber nie ratifiziert und zog seine Unterschrift auf Weisung von Präsident Wladimir Putin 2016 offiziell zurück. Das könnte damit zu tun haben, dass der Strafgerichtshof Menschenrechtsverbrechen in Georgien und der Ukraine untersucht, in die Russland möglicherweise verstrickt ist.

Internationaler Strafgerichtshof Fahndungsplakat Dominic Ongwen
Bild: picture-alliance/dpa

2018 erklärten die Philippinen ihren Rückzug, nachdem Chefanklägerin Fatou Bensouda ankündigte, wegen des systematischen Tötens von Drogendealern ermitteln zu wollen. "All bullshit" wetterte der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, qualifizierte die Richter und Ermittler des ICC als "white idiots", als "weiße Idioten" ab und verbat sich jedwede Einmischung in nationale Angelegenheiten.

Urteile von Kolonialherren?

Rassismus wird dem Strafgerichtshof auch von Seiten der Afrikanischen Union vorgeworfen. "Wir haben festgestellt, dass der Internationale Strafgerichtshof vor allem gegen Afrika vorgeht, gegen afrikanische Staatschefs, sogar gegen amtierende Präsidenten, obwohl auch anderswo auf der Welt viele eklatante Kriegsverbrechen begangen und Menschenrechte verletzt werden. Aber diese Verbrechen interessieren niemanden", sagte 2016 Idriss Déby, Präsident des Tschad, und zu diesem Zeitpunkt außerdem Vorsitzender der Afrikanischen Union.

Dem widerspricht Chefanklägerin Fatou Bensouda, die aus Gambia stammt und Justizministerin ihres Heimatlands war, bevor sie 2012 nach Den Haag ging. Sie und ihre Mitarbeiter, unter denen mehr Afrikaner als Europäer seien, konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf Afrika, weil eben nirgends auf der Welt derzeit schlimmere Menschenrechtsverletzungen zu beklagen seien. Zudem kamen zahlreiche Bitten um Ermittlungen aus Afrika: Aus Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Mali, Gabun und sogar zwei Mal aus der Zentralafrikanischen Republik.