Häusliche Gewalt in Ostafrika: das Tabu brechen
6. September 2024Gewalt gegen Frauen ist in vielen afrikanischen Ländern, auch in Uganda und Kenia, weit verbreitet. Gerade trauert Uganda um die Sportikone Rebecca Cheptegei. Sie fiel einem brutalen Angriff ihres Ex-Freundes zum Opfer.
Laut Angaben der Polizei war die Marathonläuferin und Olympiateilnehmerin Cheptegei am Sonntag von ihrem ehemaligen Lebenspartner Dickson Ndiema Marangach in ihrer Wahlheimat Kenia mit Benzin übergossen und angezündet worden. Nachbarn eilten zur Hilfe, doch die 33-jährige Mutter zweier Kinder erlag am Donnerstag in einem Krankenhaus ihren schweren Brandverletzungen.
Stilles Leiden der Frauen
Hassan Sekajoolo ist Teamleiter bei Ubuntu, einem ugandischen Netzwerk für die Gleichstellung der Geschlechter. Hier setzen sich Männer und Jungen für den sozialen Wandel ein. "Die Stimmung in Uganda ist getrübt, die Menschen sind traurig, dass ein solches Talent durch häusliche Gewalt verloren gegangen ist", sagt er im DW-Interview. Und sie forderten, dass für diesen Mord Gerechtigkeit geübt werde, fügt er an.
Rebecca Cheptegei galt als ein Symbol für den Erfolgssport in Uganda, der internationale Anerkennung fand. Bei den Olympischen Spielen in Paris begeisterte sie noch das Publikum bei ihrem Debüt-Marathonlauf.
Bereits vor Jahren erschütterten ähnliche Morde in Kenia die Öffentlichkeit: 2021 verstarb die Langstreckenläuferin Agnes Tirop, 2022 wurde die Leichtathletin Damaris Mutua tot aufgefunden. In beiden Fällen wurden die Partner von den Behörden als Hauptverdächtige identifiziert.
Prominente Opfer gelangen in den Fokus der öffentlichen Debatte, die meisten Frauen dagegen leiden schweigend unter häuslicher Gewalt.
Die Nationale Statistikbehörde in Uganda (Uganda Bureau of Statistics) berichtete im November 2021, dass 95 Prozent der Frauen und Mädchen im Vorjahr körperliche und/ oder sexuelle Gewalt erfahren hätten.
Gewalt - eine Privatsache?
Die Kriminalitätsberichte der ugandischen Polizei dokumentieren 272.737 Fälle von häuslicher Gewalt zwischen 2016 und 2021, darunter 2.278 Tötungsdelikte, die Intimpartnern zugeschrieben werden. Das schreibt Afrobarometer in einem Bericht 2023.
Die Hälfte der Befragten gab an, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen in ihrer Gemeinde gewöhnlich ist. Die Mehrheit glaubt, dass häusliche Gewalt eine private Angelegenheit ist, die innerhalb der Familie zu regeln ist.
Das Stigma innerhalb der ugandischen Gesellschaft ist groß. Hassan Sekajoolo arbeitet mit Familien in Kampala, um erlernte Stereotype und das Tabu häuslicher Gewalt zu brechen.
"Die Kinder lernen Gewalt vom Mann und Gewaltlosigkeit von der Mutter. Unsere Erhebungen zeigen, dass die Gewalt in den Haushalten, mit denen wir arbeiten, um bis zu 40 Prozent zurückgegangen ist. Wir sehen auch, dass die Kinder ein anderes Verständnis von Gewalt haben und sich zurückhalten", so sein Fazit.
Allerdings würden in den Schulen die alten sozialen und geschlechtsspezifischen Normen wieder verstärkt. "Wir wollen, dass Männer gemeinsam mit Frauen diskutieren und Entscheidungen treffen, mit anderen Männern sprechen und die von Männern dominierten Strukturen in der Gesellschaft so verändern, dass sie für Frauen und Mädchen weniger unterdrückend sind."
Rollen und Normen hinterfragen
In seiner Arbeit mit den Familien sollen Männer lernen, kulturelle und religiöse Positionen, die Frauen benachteiligen, zu hinterfragen. Laut Sekajoolo fühlten sich Männer oftmals bedroht und verunsichert. Dies äußere sich in Gewalt. Frauen müssten wirtschaftlich gestärkt werden. "Aber Männer wissen nicht, wie sie mit gestärkten Frauen umgehen sollen."
Im benachbarten Kenia protestierten im Januar 2024 tausende Frauen und Männer gegen die Gewalt gegen Frauen und forderten ein Ende des Femizids.
In einer patriarchalen Gesellschaft werde ihnen Gewalt im Elternhaus vorgelebt, sagt auch Zipporah Nyangara Mumbi. Sie leitet Haven of Dreams, eine von Jugendlichen und Frauen geführten Organisation im zentralkenianischen Nakuru, die aufklären möchte.
Der Kreislauf des Missbrauchs beschädige die psychische Gesundheit. Die Hoffnung, dass der Partner sie nicht mehr angreifen werde, hindere Frauen immer wieder daran, gewaltsame Beziehungen zu verlassen.
"Frauen sollen gesehen, nicht gehört werden"
Mindestens 500 Frauen und Mädchen wurden in Kenia seit 2016 ermordet - trotz aller Bemühungen im Land, geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern. Dies geht aus dem Africa Data Hub hervor, einem regionalen Netzwerk von Datenorganisationen, das solche Morde anhand von Zeitungsberichten nachverfolgt.
Gewalt gegen Frauen wird auch in Kenia laut UN Women nach wie vor gesellschaftlich toleriert: 42 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer glaubten, dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sei, wenn ein Mann seine Frau schlage, berichtet die Organisation, die sich weltweit für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau einsetzt.
Die Frauen und Jugendlichen bei Haven of Dreams arbeiten daran, erlittene Traumata überwinden zu helfen, und sehen in der Erziehung von Männern und Gesellschaft eine große Herausforderung: "Es ist der kulturelle Widerstand, mit dem wir konfrontiert sind, besonders in der Gemeinschaft", sagt Mumbi zur DW. "Frauen sollen gesehen, nicht gehört werden. Das macht es schwierig, Gespräche mit Männern zu führen."
Der Fall von Rebecca Cheptegei richtet jetzt einmal mehr die Aufmerksamkeit auf das Thema - doch der Weg zu einem angstfreien Leben von Frauen und Mädchen ist noch weit.
Mitarbeit: Wakio Mbogho
Korrektur am 07.09.2024: In einer früheren Version hieß es, die kenianische Langstreckenläuferin Agnes Tirop sei in Italien verstorben. Richtig ist, dass sie in Iten im Westen Kenias starb. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.