Wie Afrikas Frauen in Stille leiden
26. August 2022Catherine hatte sich die Haare geschnitten - ohne die Erlaubnis ihres Freundes. Dafür gab es Schläge, immer wieder. "Ich kann mich nicht erinnern, wie oft er mich wegen kleiner Missverständnisse geschlagen hat", erzählt die Malawierin der DW. Was dann folgte, ist typisch in einer toxischen Beziehung: "Am nächsten Tag kam er, um sich zu entschuldigen", sagt Catherine. Lange nahm sie seine Entschuldigungen an, bis sie endlich beschloss, ihn zu verlassen.
Fast jede zweite Afrikanerin erlebt Gewalt
Jahrelang hat Catherine, wie viele Betroffene, ihr Leid still ertragen. Geschlechtsspezifische Gewalt - auf Englisch "gender based violence", kurz GBV - geschieht im Verborgenen, hinter verschlossenen Türen, oft im eigenen Zuhause. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 haben rund 44 Prozent der afrikanischen Frauen geschlechtsspezifische Gewalt erlebt. Im weltweiten Durchschnitt sind es nach UN-Angaben etwa 30 Prozent.
GBV umfasst viele Arten von Missbrauch, von körperlicher, sexueller und emotionaler Gewalt bis hin zu weiblicher Genitalverstümmelung und Menschenhandel. Auch Gewaltandrohungen, Nötigung und Manipulation gehören dazu. Die Betroffenen können schwere seelische und körperliche Folgen erleiden.
Ein großes Problem im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist, dass Betroffene darüber nicht sprechen können. "Schweigen ist in den meisten afrikanischen Gesellschaften ein großes Problem", sagt Judicaelle Irakoze von der Frauenrechtsorganisation Choose Yourself im DW-Interview. "Frauen sollen schweigen: Sprich weniger, handle weniger, falle weniger auf. Je weniger du tust, desto besser bist du als Frau." Laute Frauen würden dagegen bestraft, diskreditiert, stigmatisiert und eingeschüchtert.
Scham spiele ebenfalls eine große Rolle, so Irakoze, die in Burundi aufgewachsen ist. In vielen Gesellschaften gelten Sexualität und Beziehungen als Privatsache. "Frauen, die es wagen, darüber zu sprechen, werden dafür bestraft, dass sie ihren Mann, ihre Familie oder ihren Missbraucher beschuldigt haben. Was hast du getan, dass sie dich missbrauchen?"
Die Gefahr des "Victim Blaming"
Und wenn Opfer sprechen, werden oft sie für die Tat verantwortlich gemacht. Auch in Uganda, dem Heimatland der feministischen Aktivistin Safina Virani. "Victim blaming" heißt dieses Phänomen. "Selbst die Regierung ist an der Schaffung von Institutionen beteiligt, die Opfer beschuldigen. 2014 gab es ein Verbot von Miniröcken, Frauen sollten keine freizügige Kleidung tragen dürfen. Die Begründung war: Weil Frauen solche Kleidung tragen, wollen Männer sie vergewaltigen", sagt sie der DW.
"Die Gesellschaft hat es so eingerichtet, dass sie die Frau fragt: Was hast du falsch gemacht? Vielleicht hat sie den Mann verärgert", kritisiert Virani. So habe vor kurzem eine Frau in Uganda in den Sozialen Medien einen Mann des Missbrauchs beschuldigt. Doch seine Freunde teilten Bilder, die beide als glückliches Paar zeigten. "Sie stellten die Frau als Lügnerin da und fragten, wie sie diesen Mann des Missbrauches anklagen könne", kritisiert die Aktivistin.
"Frausein dreht sich um den Mann"
Dass sich nur langsam etwas ändert, liegt an den Geschlechterrollen, sagt Aktivistin Irakoze. "Alles muss sich um das männliche Geschlecht drehen, sogar das Frausein. Und dazu gehört auch die Realität, dass der Körper der Frau niemals der ihre ist, sondern ein Spielplatz für den Mann."
Dem stimmt auch die Uganderin Virani zu. "Die Gesellschaft lehrt dich, dass du deinen Mann glücklich machen sollst. Als Frau kannst du alles erreicht haben, aber wenn du keinen Mann hast, bist du eine Versagerin." Für viele Frauen sei es schwer, dieser Gehirnwäsche zu entkommen. "Frauen werden dir sagen, dass du selbst schuld bist. Der Grund ist gesellschaftliche Prägung und Erziehung: Frauen glauben dann wirklich, dass der Grund für die Gewalt gegen sie ist, wie sie sich verhalten, kleiden oder sprechen. Wenn sie älter sind, ist es schwer, diese Denkweise aus ihnen herauszubekommen."
Lösungen für diese Kultur der Stille braucht es in Politik und Gesellschaft. Experten fordern, Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt besser durchzusetzen, mehr Frauen in politischen Ämtern und bessere medizinische Angebote. Doch "die Herzen und Köpfe von Männern und Jungen" zu ändern, ist nach Ansicht des UN-Generalsekretärs António Guterres der erste Schritt. "Männer haben diese Geißel geschaffen. Männer müssen sie beenden."
Frauen wehren sich
Die burundisch-stämmige Aktivistin Irakoze sagt, dass der Kampf in den Familien beginnen muss. "Wenn wir gegen toxische Männlichkeit vorgehen wollen, müssen wir bei Vätern, Brüdern, Onkeln und Partnern anfangen. Es ist die Revolution, die Befreiung vom Patriarchat in unserem Zuhause."
Safina Virani hofft, dass immer mehr Frauen den Mut haben werden, gegen ihre Täter auszusagen. Hoffnung geben ihr junge Feministinnen, neue Organisationen und Plattformen wie die panafrikanische Plattform AfricanFeminism und die öffentliche Metoo-Debatte. Ihr Tipp an Opfer: "Sammeln Sie Beweise! Auch wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie die Person anzeigen wollen, aber vielleicht haben Sie eines Tages den Mut, Anzeige zu erstatten."
In Malawi hat sich Catherine aus ihrer toxischen Beziehung befreit. Es war nicht leicht, aber richtig. "Mein Rat an andere Frauen, die von Missbrauch betroffen sind, lautet: Verlassen Sie ihn, bevor es zu spät ist", so Catherine. "Missbrauchende Männer sind sehr gerissen, sie missbrauchen dich heute und bringen dir am nächsten Tag Geschenke. Diese Geschenke sind es nicht wert, dafür zu sterben!"
Mitarbeit: Mirriam Kaliza (Malawi)