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PolitikAsien

Hongkong 25 Jahre unter Souveränität Chinas

Powen Wang aus Taipeh
1. Juli 2022

Die 25-Jahr-Feier der Rückgabe Hongkongs wird wohl ohne Störungen über die Bühne gehen. Vielen Einwohnern ist aber nicht zum Feiern zumute.

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Hongkong & Sicherheitsgesetz China | Chinesische Flagge
Flagge Hongkongs mit der Bauhinia-Blüte verdeckt von Flaggen der VR China Bild: Reuters/T. Siu

Peking hat die politische Lage in Hongkong unter Kontrolle. Die Demokratiebewegung, sowohl auf der Straße wie auch im Parlament (Legislativrat) der Sonderverwaltungsregion Hongkong, ist praktisch ausgeschaltet. Dafür haben die Disqualifizierung und strafrechtliche Verfolgung von pro-demokratischen Aktivisten und Kandidaten und die ausschließliche Zulassung "patriotischer" Kandidaten gesorgt, ebenso wie die Schließung von pro-demokratischen Webseiten wie "Stand News" und "Citizen News" und Zeitungen wie "Apple Daily". Grundlage für die Maßnahmen ist das weitreichende nationale Sicherheitsgesetz, das im Juni 2020 in Hongkong eingeführt wurde. Die für die Zeit nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1997 gefundene Formel "Ein Land, zwei Systeme" ist zwar offiziell noch nicht abgeschafft, spielt aber in der Praxis eine immer geringere Rolle.  

Sorgen um den inhaftierten Freund

Die DW hat mit drei chinesischstämmigen Einwohnern Hongkongs über ihre Gefühle und Erfahrungen unter der lastenden Hand Pekings gesprochen. Stella, Künstlerin, 33 Jahre alt, hat gerade einen Freund im Gefängnis besucht. "Zwischen uns war eine Plexiglasscheibe. Wir durften uns 15 Minuten lang per Sprechanlage unterhalten." Sie habe ihn gefragt, was er für den Alltag im Gefängnis braucht.

Apple Daily Newspaper | Taiwan
Die letzte Ausgabe der Hongkonger Zeitung "Apple Daily" erschien am 24. Juli 2021Bild: Sam Yeh/AFP/Getty Images

Einmal im Monat besucht Stella den Freund. Mit der Zeit seien die Gesprächsthemen immer weniger geworden. Vielleicht gebe es zu wenig Möglichkeit in der Haft, sich zu informieren, vermutet sie. Ihr Freund wurde nun in eine Einzelzelle verlegt. Stella macht sich Sorgen um seine körperliche und seelische Gesundheit.

Ihr Freund wurde im Zusammenhang mit der Protestbewegung von 2019 verhaftet und wartet immer noch auf seinen Prozess. Im Gespräch mit der DW, das sie über einen Messenger-Dienst verschlüsselt führte, war Stella sehr vorsichtig mit persönlichen Informationen, um sich und ihren Freund nicht zu gefährden.

2019 erreichten die Straßenproteste in Hongkong ihren Höhepunkt, Anlass war das geplante neue Auslieferungsgesetz, das unter anderem die Auslieferung von Beschuldigten an die Volksrepublik ermöglichen sollte. Die Proteste gegen die Regierung wurden letztendlich niedergeschlagen und viele junge Teilnehmer verhaftet. Laut einem Bericht des in Washington ansässigen Hong Kong Democracy Council (HKDC) von Ende Mai ist die Zahl der politischen Gefangenen in Hongkong in den vergangenen vier Jahren stark angestiegen. Zuletzt waren es 1014 Personen, das durchschnittliche Strafmaß beträgt 1,6 Jahre. Neben Studenten befinden sich unter den Inhaftierten auch Bürger mit den unterschiedlichsten Berufen. Mehr als die Hälfte sind jünger als 25, 15 Prozent der Inhaftierten sind laut HKDC Minderjährige.

China I Hongkong I Tiananmen
Polizei am Hongkonger Victoria-Park, wo bis vor wenigen Jahren das öffentliche Tiananmen-Gedenken stattfand, aber jetzt verboten ist.Bild: Tyrone Siu/REUTERS

Der HKDC-Bericht kritisiert die Praxis der Behörden, nicht wenige Inhaftierte für längere Zeit in Untersuchungshaft zu belassen, ohne dass der eigentliche Prozess vorankommt. Der Freund von Stella sitzt bereits mehr als ein Jahr ein, während die Beweisaufnahme nicht zum Abschluss kommt. Die Verhandlung wurde mehrmals verschoben. Wann es endlich losgeht, "kann keiner genau sagen", berichtet Stella. Das allgemeine Klima der Vorsicht und Angst vor politischen "Fehlern" mache sich überall bemerkbar, sagt sie. Auch ihre Bekannten in der Künstlerszene hielten sich lieber von Themen mit politischem Bezug fern.

"Aufgezwungener Patriotismus"

Die ebenfalls 33-jährige Dorothy beschleichen unangenehme Gefühle, wenn sie an die bevorstehenden Feierlichkeiten mit Nationalflaggen in den Straßen und Ansprachen denkt. "Ich persönlich finde das sehr befremdlich, eine Inszenierung von Stabilität und Wohlstand." Das Ganze sei schwer für sie zu ertragen. Dorothy erfuhr gerade in dem Moment, als vor drei Jahren die Protestwelle einen Höhepunkt erreichte, von ihrer Schwangerschaft und blieb deswegen den Protestveranstaltungen fern. "Eigentlich hätte ich mich auf das neue Leben freuen sollen, stattdessen hatte ich nur Angst." Sie erinnert sich die blutigen Vorfälle in U-Bahn-Stationen, bei denen Demonstranten und Passanten von Unbekannten zusammengeschlagen wurden, und die sie als Augenzeugin miterlebte.

Heute ist ihr Kind zweieinhalb Jahre alt. Dorothy denkt darüber nach, was ihre Tochter in der Schule lernen wird: "Die Schulträger beugen sich der Regierung und verstärken die sogenannte patriotische Erziehung." Selbst die Kindergärten, erzählt Dorothy, würden von den Behörden ermuntert, regelmäßig die Nationalflagge zu hissen, mit den Kinder zusammen die Nationalhymne zu singen und patriotische Sprüche auf Hochchinesisch aufzusagen. Die Mutter fürchtet, dass solch ein "aufgezwungener Patriotismus" später einmal zu einer Entfremdung zwischen Eltern und Kindern führen wird.

Cross Harbour Tunnel Blockade Hongkong
Straßenschlachten nahe der Polytechnischen Universität im November 2019Bild: Reuters/T. Peter

Schon jetzt könnte sich Pekings Propaganda gepaart mit Resignation bei den Aktivisten in der öffentlichen Einstellung niedergeschlagen haben. Laut einer im Juni veröffentlichten Umfrage des "Hong Kong Public Opinion Research Institute" (HKPORI) fühlen sich die Einwohner der Siebeneinhalb-Millionen-Metropole im Durchschnitt zwar immer noch stärker als "Bürger Hongkongs" denn als "Bürger der VR China"; aber seit zwei Jahren mit abnehmender Tendenz. Auf einer Skala von 0 ("gar nicht")  bis zehn ("sehr stark") ging der Wert für China von 4,8 im Juni 2019 auf 6,1 im Juni 2022 herauf, für Hongkong im selben Zeitraum von 8,6 auf 7,8 herunter.

In unpolitischer Distanz

Gefragt, wie er seine Identität als Bürger sehe, sagt ein gebürtiger Hongkonger, der sich deutsch übersetzt "Sesam" nennt, dass er sich eher als Chinese sieht. Unter seinen Freunden seien sowohl Gegner als auch Befürworter des Sicherheitsgesetzes. Er selbst wolle sich nicht festlegen. Der 41-Jährige, der in der Finanzbranche tätig ist, glaubt, dass die wirtschaftliche Integration von Hongkong, Macau und der Provinz Guangdong auf dem Festland dazu führe, dass die Finanzbranche Hongkongs noch enger mit der Chinas verflochten werde und Leute wie er ihre Zukunft in diesem größeren Markt sähen. Er sehe aber auch die kulturellen Unterschiede und die Abwanderung Hongkonger Fachkräfte.

Seiner Einschätzung nach besteht die Gefahr, dass andere Standorte wie Singapur Hongkong als internationales Finanzzentrum in der Region ablösen könnten. Er erwarte kurzfristig keine nennenswerten Veränderungen unter dem künftigen neuen Regierungschef Hongkongs, John Lee. Zum Thema 25. Jahrestag der Rückgabe an China habe er keine Meinung.

Fürs Bleiben entschieden

Vielen Hongkongern fällt es schwer, sich zwischen Bleiben und Weggehen zu entscheiden. Unsere drei Interviewpartner entschieden sich letztlich fürs Bleiben. Dorothy hatte wegen der Ausbildung ihres Kindes immer wieder über Auswanderung nachgedacht. Sie entschied sich dann aber doch dafür, in Hongkong zu bleiben, um sich um ihre Eltern kümmern zu können. Angesichts der vielen Verwandten und Freunde, die Hongkong bereits verlassen haben, dachte Stella des öfteren ebenfalls daran auszuwandern, entschied sich jedoch am Ende dagegen. Sie versuche, mit Menschen vom chinesischen Festland in den Dialog zu treten. Sie möchte, dass ihr Gegenüber versteht, was in Hongkong wirklich passiert ist. Nur so, davon ist sie überzeugt, sei ein sinnvoller Austausch möglich.