Hoffen auf eine neue Ära
13. Dezember 2002Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit in Lettland vor elf Jahren wurden rund 700.000 Menschen - überwiegend Russen aber auch Weißrussen, Ukrainer, Polen und Litauer - zu so genannten "Nichtbürgern" erklärt. Diese Formulierung steht in ihren Ausweisen oder Reisepässen. Betroffen davon ist rund ein Drittel der insgesamt 2,4 Millionen Einwohner des Landes.
Ihre Integration haben mehrere internationale Organisationen wie die EU und die Organisation für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gefordert. Auf deren Druck wurden das Gesetz zur Staatsbürgerschaft und das Wahlgesetz zugunsten der nicht-lettischen Bevölkerungsgruppen geändert. Inzwischen hat die OSZE ihr Büro in Lettland geschlossen, da, wie es in einer offiziellen Erklärung hieß, "eine besondere Beobachtung der Lage der nicht-lettischen Minderheit nicht mehr notwendig" sei.
Projekte für mehr Integration
Der Leiter der Delegation der Europäischen Kommission in Riga, Andrew Rasbash, sieht das allerdings anders. Zwar erfülle Lettland alle notwendigen politischen Bedingungen für einen Beitritt in die EU. "Das bedeutet aber nicht, dass die Situation perfekt ist. Ich denke, dass wir zusammen mit der lettischen Regierung alles unternehmen müssen, damit sich hier alle Menschen - unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung - in die lettische Gesellschaft integriert fühlen", sagt Rasbash. Dafür sei die EU auch bereit, europäische Steuergelder in Projekte zu investieren, die diesen Prozess unterstützen.
Ein Teil dieser Integrationsmaßnahmen sind Sprachkurse für Lettisch. Gute Kenntnisse der lettischen Sprache ist eine der wichtigsten Bedingungen für das Erlangen der Staatsangehörigkeit. Um sich die mühselige Vorbereitung auf die Einbürgerungsprüfung zu ersparen, versuchen einige, sich die Staatsangehörigkeit auf anderen Wegen zu organisieren. Anfang des Jahres nahm der Verfassungsschutz zwei Beamte der Einbürgerungsbehörde fest, denen vorgeworfen wurde, die lettische Staatsangehörigkeit für 1500 Dollar pro Kopf zu verkaufen. Dies sei ein Einzelfall, versuchen die Regierungsvertreter abzuwiegeln.
Korruption weit verbreitet
Dennoch bleibe Korruption ein ernsthaftes Problem auf dem Wege Lettlands in die EU, widerspricht der Leiter der Delegation der Europäischen Kommission Andrew Rasbash. "Es ist nicht klar, wer wie welche Partei finanziert. Und das löst natürlich schon gewisse Zweifel aus, wenn die Parteien in der Regierungskoalition Entscheidungen treffen."
Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit bestimmten Mitte-Rechts Parteien den politischen Kurs Lettlands. Sie ließen keine Zweifel am Ziel EU-Beitritt aufkommen. Trotzdem ist laut Umfragen die Europa-Skepsis weit verbreitet. Die Ankündigung der Europäischen Kommission, die Agrarsubventionen für die neuen Beitrittskandidaten nicht im vollen Umfang zu bezahlen, habe bei der lettischen Bevölkerung großes Unverständnis ausgelöst, sagt der Leiter des Büros für die Europäische Integration, Edvards Kusners. "Sowohl unsere Medien wie die Bauern erwarten sich mehr von den direkten Beihilfen. Die Reaktion in den Medien auf diese Entscheidung war sehr aggressiv und hat eine sehr heftige öffentliche Diskussion ausgelöst."
Referendum an symbolischem Tag
Es ist also noch einiges an Überzeugungsarbeit von Seiten der lettischen Regierung zu leisten, damit auch in der lettischen Bevölkerung die letzten Zweifel über die Notwendigkeit eines EU-Beitritts ausgeräumt werden. Ein Datum für den geplanten Volksentscheid haben die Politiker in Riga bereits ins Auge gefasst. Der soll am 23. August 2003 stattfinden. Ein symbolischer Tag, denn am 23. August 1939 wurde der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, in dessen Folge das Baltikum für ein halbes Jahrhundert unter sowjetische Herrschaft geriet. Jetzt soll dieser Tag eine
neue Ära einleiten.