Thyssen-Krupp in der Krise
17. Januar 2013Aufsichtsrat und Vorstand des Thyssen-Krupp Konzerns müssen sich auf eine brisante Hauptversammlung am Freitag (18.01.2013) einrichten. Denn das Traditionsunternehmen steckt in einer historischen Krise. Nicht nur finanziell. Gab es für die Aktionäre 2012 noch 45 Cent Dividende pro Anteilsschein, gehen sie im abgelaufenen Geschäftsjahr leer aus. Milliardenschwere Fehlinvestitionen in Übersee und eine Reihe von Affären haben Thyssen-Krupp ins Schlingern gebracht. Schon im Vorfeld der Hauptversammlung kündigten Aktionärsorganisationen an, dem Aufsichtsrat um Gerhard Cromme die Entlastung zu verweigern. Außerdem hat selbst die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) Cromme den Rücktritt nahe gelegt.
Trübe Aussichten
Mit weltweit 170.000 Mitarbeitern erwirtschaftet der Konzern jährlich rund 50 Milliarden Euro Umsatz. Dennoch steht das deutsche DAX-Unternehmen tief in den roten Zahlen. Mit dem Bau von zwei Stahlwerken in den USA und Brasilien wollte Thyssen-Krupp seine Rolle als Global Player ausbauen. Doch statt der veranschlagten drei Milliarden verschlangen diese Projekte bisher über zwölf Milliarden Euro.
Vorstandschef Heinrich Hiesinger hat sich zwar um den Verkauf der Werke bemüht, doch den Aktionären bei der Hauptversammlung in Bochum wird er noch keine konkreten Ergebnisse präsentieren können. Die Stahlsparte bringt dem Unternehmen somit weiter Verluste ein.
Cromme im Kreuzfeuer der Kritik
Ins Kreuzfeuer der Kritik ist im Zusammenhang mit den Fehlinvestitionen in Übersee längst auch Gerhard Cromme geraten, der Vorsitzende des Aufsichtsrates. Cromme wird allerdings nicht müde zu betonen, dass der Aufsichtsrat nicht hinreichend über das sich abzeichnende Dilemma unterrichtet wurde. Dagegen bemängelt das renommierte Aktionärsberatungsunternehmen ISS in einer Studie den "fehlenden Willen" des Kontrollgremiums, eigene Versäumnisse einzugestehen. Die Aktionärsberater empfehlen darum, dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.
Schaden genommen hat das Unternehmen aber auch durch diverse Affären. So etwa durch Schmiergeldzahlungen im Konzernbereich Bautechnik für Projekte in Kasachstan und Usbekistan. Negative Schlagzeilen lieferte Thyssen-Krupp außerdem als Mitglied eines "Schienenkartells" mit zwei anderen Unternehmen. Die verbotenen Preisabsprachen kosteten die Deutsche Bahn und andere öffentliche Verkehrsunternehmen Hunderte Millionen Euro. Die vom Kartellamt verhängte und von Thyssen-Krupp akzeptierte Strafe belief sich auf 103 Millionen Euro.
Immer wieder Affären
Das Renommee des Unternehmens ramponierten darüber hinaus Luxusreisen, die Vorstandsmitglieder sich selbst und eingeladenen Journalisten gönnten. Vor diesem Hintergrund mussten bereits Wochen vor der Hauptversammlung drei von sechs Vorstandsmitgliedern ihren Hut nehmen. Diese "Selbstreinigung" sollte eine Erneuerung der Unternehmenskultur signalisieren.
Doch hinter den Kulissen rumort es weiter. Für die Arbeitnehmervertreter saß bisher Bertin Eichler, Hauptkassierer bei der IG Metall, im Aufsichtsrat. Bei der Hauptversammlung kandidiert er allerdings nicht mehr, nachdem auch er Privileg-Reisen auf Unternehmenskosten einräumen musste. Inklusive des Besuchs eines Formel 1-Rennens in Shanghai.
Angekratzter Kanzlerkandidat
In den Krisenstrudel gezogen hat es noch ein weiteres Aufsichtsratsmitglied: Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der SPD. Aus vertraulichen Unternehmensquellen sickerte offenbar gezielt durch, Steinbrück habe im Aufsichtsrat versichert, er wolle sich auf politischem Parkett zugunsten des Unternehmens für niedrigere Energiepreise einsetzen. Dem Vorstand soll Steinbrück ferner dringend geraten haben, die Verstrickungen in das "Schienenkartell" nicht öffentlich zu machen. Vorstandschef Heinrich Hiesinger schlug diesen Rat jedoch in den Wind. Diese offensichtlich gezielt lancierten Indiskretionen fügen dem ohnehin angeschlagenen Image des Kanzlerkandidaten der SPD weitere Kratzer hinzu.
In der Hauptversammlung von Thyssen-Krupp steckt also eine Menge Brisanz, da es nicht nur um Finanzen, sondern auch um Glaubwürdigkeit der Unternehmensführung geht. Noch steht Berthold Beitz, der mittlerweile 99 Jahre alte Vorsitzende der Krupp-Stiftung, die mit 25 Prozent den größten Aktienanteil besitzt, zu Gerhard Cromme. Der gilt übrigens als ausgemachter Nachfolger von Beitz an der Spitze der Krupp-Stiftung. Männer-Treue gehörte schon immer zu den stabilen Stützpfeilern in der über 200jährigen Geschichte des Unternehmens. Über die Entlastung des Aufsichtsrates um Gerhard Cromme entscheidet allerdings nicht allein Patriarch Beitz, sondern die Aktionäre.