ThyssenKrupp im Umbruch
28. Februar 2012Noch im November 2011 lud der Industrielle Bertold Beitz zu einer glanzvollen Feier in die Villa Hügel zum 200-jährigen Jubiläum der Gründung von Krupp. Doch nur kurz darauf folgte die Ernüchterung. Im abgelaufenen Geschäftsjahr klaffe in der Bilanz der erfolgsverwöhnten ThyssenKrupp AG ein Verlust von 1,8 Milliarden Euro. Nur ein Jahr zuvor konnte man noch einen Gewinn von 927 Millionen Euro einfahren. Der Konzern, der weltweit 177.000 Mitarbeiter beschäftigt, steckt in großen Schwierigkeiten. Besserung ist vorerst nicht in Sicht: Auch im ersten Quartal 2011/2012 steht ein Verlust von 480 Millionen Euro in den Büchern.
"Es muss Geld in die Kassen"
Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger - seit gut einem Jahr im Amt - schickt sich darum an, den Konzern neu auszurichten. Zum Beispiel durch den Verkauf von Unternehmensbereichen wie dem Edelstahl. Das, so Hiesinger unlängst bei der Vorstellung der Bilanz, bringe auch dringend benötigtes Geld in die Kassen. "Wir wollen den Verschuldungsgrad unseres Unternehmens reduzieren, unser Rating verbessern, insbesondere mittelfristig wieder viel mehr Spielraum haben, um in unsere anderen Geschäfte investieren zu können."
Für Frank Klein, den Betriebsratsvorsitzenden des Edelstahlwerks in Bochum, kam der Verkauf von ThyssenKrupp Nirosta an den finnischen Konzern Outokumpu letztlich dennoch überraschend. Die Schuldenlast, sagt Franke, kommt allerdings nicht von ungefähr. Der Neubau von Stahlwerken in den USA und Brasilien verschlinge Unsummen. Doch dass beim Verkauf "die Edelstahlsparte dran kommen würde," fügt Klein an, "damit haben wir nicht gerechnet."
Ungewisse Zukunft deutscher Standorte
Über Jahre hinweg habe der Edelstahlbereich satte Gewinne von mehr als einer halben Milliarde Euro erzielt. Und nicht ohne Verbitterung sagt Frank Klein: "Allerdings wurde dieses Geld natürlich wieder reinvestiert. In Shanghai, Amerika oder wo es sonst noch hingeflossen ist."
Während für das Bochumer Werk mit dem finnischen Konzern Outokumpu eine Bestandsgarantie bis 2016 vereinbart werden konnte, steht das Aus für das Werk in Krefeld schon 2013 fest. Und ob der Standort Bochum über 2016 hinaus eine Perspektive hat, das soll dann eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und der Produktqualität ergeben. Angegliedert an das Edelstahlwerk in Bochum mit seinen 1.000 Mitarbeitern sind außerdem ein Kaltwalzwerk und eine Warmbandbreitstraße. Im Endeffekt, rechnet Betriebsrat Klein vor, geht es dann um 2.500 Arbeitsplätze.
Hausgemachtes Desaster
Weitaus mehr Probleme als die nun verkaufte Edelstahlsparte bereitet dem deutschen Global Player das Stahl-Engagement in Amerika mit einem Verlust von drei Milliarden Euro. Die Konzerntochter Steel Americas erweist sich als ein Fass ohne Boden. Nicht nur der Bau eines Stahlwerkes in den USA sprengt die Kalkulationen, sondern vor allem die Errichtung eines Stahlwerkes in den brasilianischen Mangrove-Sümpfen. Statt der veranschlagten 1,3 Milliarden verschlingt das Projekt inzwischen über acht Milliarden Euro und kommt nach wie vor nicht richtig in Gang. Mit dem Bau der notwendigen Kokerei beauftragte der Konzern zudem nicht die konzerneigene Premiumtochter Uhde. Vielmehr setzte man auf ein chinesisches Unternehmen, das die Vorgaben jedoch nicht erfüllt. Zu allem Überfluss bleibt zurzeit die Nachfrage aus Amerika aus.
Ein Desaster, das an der Konzernspitze offenbar niemand kommen sehen wollte. Oder zu sehen vermochte, wie Aufsichtsratschef Gerhard Cromme vor der Aktionärsversammlung betonte. "Aus heutiger Sicht wissen wir aber, dass viele Antworten des Vorstands auf die Fragen des Aufsichtsrates sich im Nachhinein als zu optimistisch, unvollständig und teilweise auch als falsch herausgestellt haben."
Schlechte Zeiten für Verkäufe
Das hilft dem inzwischen amtierenden Vorstandschef Heinrich Hiesinger auch nicht weiter. Und so bemüht er sich, das Unternehmen in neue Fahrwasser zu steuern. Sein eingeschlagener Kurs führt Quasi weg von den Wurzeln: "Was uns stört ist, dass für die Mehrzahl der Menschen und viele Kunden Thyssen-Krupp heute oft ausschließlich mit Stahl verbunden wird. Doch wir sind heute bereits mehr als Stahl."
Investiert hat ThyssenKrupp in jüngster Zeit in Beteiligungen an US-amerikanischen Aufzugsunternehmen und damit in einen Bereich, auf dem man bereits Marktführer ist. Diese Position will man auf jeden Fall festigen. Auch im Anlagenbau und Maschinenbau plant der Konzern, auf internationalem Parkett zuzulegen. Wie viel vom Stahlgeschäft, mit dem man in Europa immerhin einen Umsatz von 12,8 Milliarden Euro erzielt, nach dem Umbau übrig bleibt, das hängt auch vom Verkauf weiterer Teilbereiche ab. Allerdings bekommt ThyssenKrupp in dieser Hinsicht neben den Folgen der Finanzkrise auch die konjunkturelle Abschwächung beim Stahl zu spüren. Mit anderen Worten: Schlechte Zeiten für Unternehmensverkäufe, mit denen man an dringend benötigtes frisches Geld kommen würde.
Autor: Klaus Deuse
Redaktion: Henrik Böhme