"Heute hängt sehr viel von den USA ab"
23. Juli 2009Deutsche Welle: Herr Schewardnadse, vor dem georgischen Parlament protestiert die Opposition schon mehr als drei Monate. Sie fordert die Absetzung von Präsident Micheil Saakaschwili. Im Frühjahr waren es Zehntausende, heute sind es mehrere Hundert. Verlieren die Menschen den Glauben an die Opposition?
Eduard Schewardnadse: Wir haben Sommer... Am Tag der Ankunft von Biden (22.7.) werden es mehr sein. Für den 1. September werden noch erheblich mehr Demonstranten aus den Regionen erwartet. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir jemals eine so starke und gut organisierte Opposition hatten.
Trotzdem ist Saakaschwili nach wie vor Präsident. Glauben Sie, dass er eine volle Amtszeit schaffen wird?
Das ist schwer zu sagen. Diese Frage haben mir Journalisten schon einmal gestellt. Ich habe damals gesagt, dass ich zurückgetreten wäre. Alles hängt von der Person ab, wie sie ihren Platz, ihre Verantwortung gegenüber dem Volk und dem Land sowie gegenüber den Nachbarn begreift.
Seit dem Krieg in Südossetien ist fast ein Jahr vergangen. Wie bewerten Sie heute die Ereignisse? Wer ist schuld, dass es zu Blutvergießen kam?
Früher habe ich gesagt, beide Seiten seien schuld, in erster Linie jedoch die georgische, weil wir als erste einmarschiert sind. Doch seit die Kommission unter Leitung der Schweizer Expertin Heidi Tagliavini gebildet wurde, halte ich mich mit Äußerungen zurück, weil erst Ende August der Bericht vorliegen wird. Es sind ziemlich gute Experten und sie sollen zu einem Ergebnis kommen.
Also vertrauen Sie der Tagliavini-Kommission?
Ja. Seriöse Leute, seriöse Experten.
Aber wenn aus dem Tagliavini-Bericht hervorgeht, dass Georgien den August-Krieg begann, dann wird sich das Verhältnis zu Europa ändern...
Ich denke, dass es in diesem Bericht nicht ganz so lauten wird. Vielleicht wird es heißen, man habe einen Fehler gemacht, indem man als erster nach Südossetien einmarschiert sei, wenn dies überhaupt bestätigt werden sollte. Aber alles andere – die Besetzung Georgiens, die vielen Toten und zerstörten Häuser und alles andere – das darf man nicht unterschätzen und das muss man entsprechend bewerten.
Was passiert mit Abchasien und Südossetien? Russland hat sie als unabhängig anerkannt und dort Truppen stationiert. Sind die Gebiete für Georgien für immer verloren?
Das glaube ich nicht. Wenn diese Gebiete nicht freiwillig, auf Initiative Russlands an Georgien zurückgegeben werden, dann wird es in Russland selbst zu gären beginnen. Das wird nicht nur einfach eine Gärung sein, sondern eine Unabhängigkeitsbewegung. Die Tschetschenen, Inguschen, Kabardiner, Tatarstan und andere werden dann für Unabhängigkeit kämpfen.
Vor kurzem hat Russland im Sicherheitsrat die Verlängerung der UN-Mission in Georgien blockiert, die in Abchasien tätig war. Zuvor wurde wegen des Streits über den Status von Südossetien die OSZE-Mission nicht verlängert. Warum handelt Moskau so?
Sie haben wohl einen Fehler gemacht. Wenn Präsident Medwedjew dies verfügt haben sollte, dann würde ich das mit Unerfahrenheit erklären. Aber der Außenminister ist ein sehr erfahrener Diplomat, der selbst in der UNO gearbeitet hatte. Es war ein grober Fehler.
Macht es denn Sinn, UN-Einheiten nach Georgien zu schicken, oder Beobachter zu verstärken? Kann dies dazu beitragen, dass Vertrauen zwischen Georgiern, Abchasen und Osseten entsteht?
Russland kann jeden Beschluss des Sicherheitsrates zum Scheitern bringen, wenn er eigenen Interessen nicht entspricht. Aber was war unser Fehler? Wenn wir die Unterstützung des Sicherheitsrates wollten, dann hätte unser Präsident dorthin fliegen müssen, sich beteiligen und alle überzeugen müssen. Das wurde aber nicht gemacht.
Was muss getan werden, um die Beziehungen zwischen Georgiern und Osseten zu normalisieren? Muss man sich unbedingt mit Moskau einigen?
Wir brauchen ein Gesamtklima. Heute hängt sehr viel von den USA ab. Übrigens bin ich der Meinung, dass Medwedjew einen äußerst groben Fehler gemacht hat, als er in Zchinwali erschienen ist (Besuch Medwedjews in Südossetien im Juli 2009, Anm. d. Red.). Das hätte man nicht tun sollen.
Autor: Roman Goncharenko / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Birgit Görtz