Vergewaltigungsvideo sorgt für Entsetzen
30. März 2018Eine Teenagerin in Schuluniform liegt auf der Straße, schreit und wehrt sich nach Leibeskräften. Auf ihrer Brust kniet am helllichten Tag ein junger Erwachsener, der ihr mit Gewalt die Hose herunterzieht und sie am Gesäß und im Genitalbereich anfasst. Das 50 Sekunden lange Video, vom Freund des Angreifers gefilmt, zeigt einen sexuellen Angriff, der sich laut marokkanischer Medien Anfang Januar nördlich von Marrakech ereignet haben soll.
Bekannt geworden ist die Tat jedoch erst vorgestern, als der Täter und sein Freund das Video veröffentlichten, um die sechzehnjährige Schülerin öffentlich zu demütigen, nachdem sie sich ihren Erpressungsversuchen nicht gebeugt hatte. Das Mädchen selbst hat den Angriff über zwei Monate lang verheimlicht und nicht einmal ihrer Familie davon erzählt.
Zwiespältige Reaktionen in den sozialen Medien
Seit zwei Tagen verbreitet sich das Video sehr stark in den sozialen Medien und sorgt für viel Empörung. Auf Twitter und Facebook wurde ihm sogar ein Hashtag gewidmet: #واش_ماعندكش_ختك (#hast_du_denn-keine_Schwester) - ein Zitat aus dem Flehen der Schülerin im Video.
Die Reaktionen der Nutzer sind in ihrer Tendenz zweigeteilt:
Während sich die einen darin übertrumpfen, möglichst harte Strafen gegen Vergewaltiger vorzuschlagen oder Tipps zu geben, wie Frauen sich wehren können,
(Übersetzung: So beschützt du dich selbst, wenn du sexuell belästigt wirst.)
sehen andere die Schuld bei jungen Frauen, denen sie übertriebene Freizügigkeit vorwerfen.
(Übersetzung: Aufgrund meiner Beobachtungen, glaube ich, dass die jungen Mädchen der Hauptgrund für solche Taten sind: sie schminken sich und sind leicht bekleidet und sie verkehren mit den jungen Männern, als ob sie ihre Ehemänner wären. Was erwarten sie dann von ihnen? Dass sie ihnen den Kopf küssen und sie wie ihre Mütter ehren?...)
Staat und Gesellschaft tun zu wenig
Der Grundtenor vieler Reaktionen ist, dass Staat und Gesellschaft zu wenig unternehmen, um sexuelle Gewalt zu bekämpfen. Dabei hat der Staat bereits mehrmals auf den großen öffentlichen Druck nach Fällen von sexueller Gewalt reagiert (im aktuellen Fall wurden beide Verdächtige verhaftet). Als König Mohamed VI. den verurteilten mehrfachen Kinderschänder Daniel Galvan Viña 2013 begnadigte, waren die Proteste in den sozialen Medien und in den Straßen so heftig, dass der König die Begnadigung zurücknehmen musste und die Familien der Opfer besuchte. Eine Premiere in der Geschichte der marokkanischen Monarchie.
Weitere Vorfälle, wie der Suizid einer Siebzehnjährigen im Sommer 2016 nach der Freilassung ihrer acht Vergewaltiger oder die Verbreitung eines Videos über die Vergewaltigung einer behinderten jungen Frau im Bus im vergangenen Sommer führten nach einem öffentlichen Aufschrei zu einer Verschärfung der Rechtsprechung in Fällen von sexueller Gewalt. Zuletzt Mitte Februar, als das Parlament nach langen Debatten ein neues Gesetz verabschiedete, das Gefängnisstrafen von einem Monat bis hin zu fünf Jahren und Geldstrafen bis zu 1000 Euro für jede Tat vorsieht, die auf sexueller Diskriminierung basiert, und aus der ein körperlicher, psychischer, sexueller oder wirtschaftlicher Schaden für Frauen entsteht.
Machterhalt wichtiger als Frauenrechte
In der Kritik steht das Gesetz, das ab kommenden September in Kraft treten soll, bei lokalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, weil es Frauen nicht ausreichend Schutz während eines laufenden Verfahrens anbiete und häusliche und eheliche Gewalt nicht klar genug definiere.
Eine Bewertung, die auch die marokkanische Menschenrechtlerin und Trägerin des Menschenrechtspreises der Vereinten Nationen, Khadija Ryadi, teilt. Für die ehemalige Präsidentin der marokkanischen Organisation für Menschenrechte liegt das Grundübel aber woanders: "Die schnellen Reaktionen des Staates sollen vor allem die öffentliche Wut besänftigen. In Wirklichkeit fehlt ihm der politische Wille für eine echte Lösung". Für Ryadi kann sexuelle Gewalt nicht allein durch harte Strafen, wenn diese denn überhaupt zur Anwendung kommen, bekämpft werden. Dazu bedarf es vielmehr einer gebildeten und aufgeklärten Gesellschaft und einer Schule, die ihren Erziehungsauftrag ernst nimmt. "Genau das verhindern die Machthaber aber seit den 1980er Jahren, weil sie sich vor einer kritischen, gebildeten und selbstbewussten Öffentlichkeit fürchten, die ihre illegitime Macht herausfordern könnte".