Araberinnen erkämpfen Gewaltschutz
5. August 2017Der Schritt war lange erwartet worden, nun hat die Regierung in Jordanien den berüchtigten Paragraphen 308 des Strafgesetzbuches endgültig außer Kraft gesetzt. Dieser hatte für Streit gesorgt, denn er erlaubte es Vergewaltigern, ohne Strafe davonzukommen.
Seit langem schon hatten jordanische Menschenrechtsaktivisten gefordert, dass die milde Rechtsprechung bei Sexualverbrechen nicht länger Bestand haben dürfe. Die Justiz hatte sich dafür auf den Paragraphen 308 gestützt. Der sah Straflosigkeit für den Fall vor, dass der Täter sein Opfer heiratete. Stimmte die Familie der Betroffenen zu, konnte sie sich gegen die Ehe nicht wehren.
Der Paragraph gilt als verantwortlich dafür, dass die Zahl entsprechender Delikte in Jordanien bis zur nun erfolgten Justizreform sehr hoch war. Im Frühjahr entschied das Parlament, den Paragraphen abzuschaffen.
Vorbild Tunesien
Die Entscheidung in Jordanien fiel nur eine Woche, nachdem das tunesische Parlament einen fast identischen Artikel ebenfalls außer Kraft gesetzt hatte. Der Entscheidung waren erregte, bis zum offenen Streit reichende Diskussionen zwischen Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft vorausgegangen.
Infolge dieses Gesetzes wurde auch das heiratsfähige Alter junger Frauen in Tunesien juristisch neu definiert. Lag es bislang bei 13 Jahren, wurde es nun auf 16 Jahre erhöht. Das Gesetz habe eine "historische" Bedeutung, erklärte die tunesische Ministerin für Frauen, Familie und Kinder, Naziha Laabidi, nach der Sitzung. Es schütze die Würde der Frau ebenso wie die des Mannes.
"Das Gesetz in Jordanien ist das Ergebnis jahrelangen Engagements für die Rechte von Frauen", sagt die Frauenrechtsaktivistin Amal Atrash zur DW. Doch so bedeutend der Fortschritt auch sei: Noch weise das neue Gesetz eine ganze Reihe von Mängeln auf. So gehe es nicht auf Frauen ein, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind. Und es verpflichte den Vergewaltiger nicht zu entsprechenden Unterhaltszahlungen. Dennoch hoffe sie, so Atrash, dass die Reform dazu beitragen werde, dass weniger Frauen vergewaltigt würden.
Auch führende Politiker begrüßten das Gesetz. Es verpflichte die Regierung, den Schutz der Familie als grundlegendes Fundament einer starken Gesellschaft zu gewährleisten, betonte der jordanische Premierminister Hani al-Mulki. "Der Artikel berührt die grundlegenden Voraussetzungen einer gerechten Gesellschaft."
Ermutigung für andere Länder
Sie wisse nicht, wie der Paragraph 308 und vergleichbare Regelungen in anderen arabischen Ländern überhaupt Gesetzeskraft hätten erlangen können, kritisierte Amal Atrash. Sie selbst sieht darin einen misslungenen Versuch, mit Vergewaltigung juristisch umzugehen. Denn das Opfer werde gleich zweimal bestraft: Zum einen, weil der Täter straffrei ausgegangen sei, und zum anderen, weil er die Betroffene - sogar gegen ihren Willen - auch noch heiraten durfte. Zudem würden die Opfer mit ihren psychologischen Problemen allein gelassen.
Die Korrektur oder Abschaffung der entsprechenden Paragraphen in Tunesien, Jordanien und anderen arabischen Ländern unterstütze Frauen und Juristen dabei, das bestehende Recht generell zu verändern, erklärt die marokkanische Frauenrechtlerin Khadija Ryadi im Gespräch mit der DW.
"Die juristischen Entwicklungen in den arabischen und muslimischen Ländern helfen uns, gegen all jene anzugehen, die Religion dazu missbrauchen, männliche Sichtweisen zu zementieren." In Marokko würden Vergewaltigungen jetzt schon mit Gefängnisstrafen von fünf bis 20 Jahren Haft geahndet.
Messen mit zweierlei Maß
Marokko hatte einen Paragraphen, der Vergewaltiger vor Strafverfolgung schützt, bereits im Jahr 2014 abgeschafft. Anlass war der Fall eines 16-jährigen Mädchens, das seinen Vergewaltiger im Jahr 2012 hatte heiraten müssen. Daraufhin nahm sich die Betroffene mit Rattengift das Leben. Der Fall hatte landesweit für Empörung gesorgt, Organisationen für Menschen- und Frauenrechte forderten eine Gesetzesänderung.
Ein Anfang sei in Marokko gemacht, sagt Riyadi, aber es bleibe noch viel zu tun. Denn immer noch sei die Würde der Frau nicht hinreichend geschützt. So würde zwar auch die Vergewaltigung unverheirateter Frauen geahndet. Sei das Opfer aber verheiratet, falle die Strafe doppelt so hoch aus.