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Halten Windräder dem raueren Wetter stand?

2. November 2021

Auch dies ist eine Folge des Klimawandels: Extremwetterlagen werden heftiger. Gleichzeitig werden Windräder immer größer und bieten mehr Angriffsfläche. Wie gut sind sie für Hagel, Sturm und Schneemassen gewappnet?

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Australien  Windkraftanlage Macarthur
Bild: www.vestas.com

Fast jedes Jahr fegen Orkane über Deutschland und Mitteleuropa hinweg. Die bisher in Deutschland gemessene Höchstgeschwindigkeit brachte "Lothar" an Weihnachten 1999: 272 Stundenkilometer. Das ist nicht viel langsamer als karibische Hurricanes; die heftigsten Böen treffen dort mit rund 300 Stundenkilometer auf Land. Noch höhere Geschwindigkeiten erreichen tropische Wirbelstürme in Ostasien und Australien.

Als sich Sturmtief Lothar seinen Weg vom Atlantik über Nordfrankreich und Deutschland Richtung Polen bahnte, hatte Deutschland mit noch nicht einmal 8000 Turbinen die meisten Windräder weltweit. Die größte verfügbare Windkraftanlage schaffte 2,5 Megawatt (MW), ihre Nabe lag 100 Meter über dem Boden.

Im ersten Halbjahr 2021 wurden in Deutschland an Land Anlagen mit einer Durchschnittskapazität von 4 MW installiert, die mittlere Nabenhöhe lag auf 140 Metern. In dieser Höhe ernten Windkraftanlagen deutlich mehr Windenergie - nicht nur, weil dies ein Vielfaches an Rotorfläche ermöglicht, sondern auch, weil die Winde in diesen Höhen wesentlich konstanter und kräftiger wehen. Das bedeutet aber auch, dass Turbinen und Türme ungleich größeren Kräften ausgesetzt sind, wenn ein Sturm aufzieht.

Deutschand Windkraftanlage in der Deutschen Bucht
Windkraft in der Nordsee: Auch wenn der Ausbau nur stockend vorankommt, werden die "Erneuerbaren" immer wichtigerBild: Tristan Stedman/MHI Vestas

Erst ein Totalschaden

Erst Ende September knickte in der nordrhein-westfälischen Stadt Haltern eine insgesamt 240 Meter hohe Windkraftanlage 20 Meter über dem Boden ab und stürzte in den angrenzenden Wald. Verletzt wurde niemand, aber der Aufschrei - vor allem bei Gegnern der Windkraft - war groß. Allerdings ging das Unglück nicht auf ein Unwetter zurück. Am wahrscheinlichsten gilt ein Materialfehler oder menschliches Versagen beim Aufbau, zumal die Anlage war erst ein halbes Jahr in Betrieb war.

Tatsächlich können Türme und Rotorblätter aber auch bei Unwettern bersten. Ende Oktober brachen in Süddeutschland während eines Herbststurms zwei Rotorblätter, eines davon fiel zu Boden. Allerdings, so ein Sprecher des Bundesverbandes Windenergie (BWE) zur DW, müsse dies kein Sturmschaden im eigentlichen Sinne sein: "Ursache könnte zum Beispiel auch ein technischer Fehler an der Anlage gewesen sein, der verhindert hat, dass die Rotorblätter rechtzeitig aus dem Wind gedreht wurden."

Dies ist nämlich eine der wichtigsten Schutzfunktionen: Bei Sturm schalten sich Windräder automatisch ab und stellen die Rotoren so, dass sie dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Laut BWE hat es seit 2005, seitdem erfasst der Verband die Schäden, erst einen einzigen Totalschaden an einer intakten Anlage aufgrund von Sturm gegeben.

Keine zentrale Erfassung

Statistisch gesehen ist die Gefahr eines reinen Sturmschadens also verschwindend klein. Öfter geraten Gondeln durch Blitzschlag in Brand. Doch auch dies ist laut BWE erst sieben Mal vorgekommen. Wesentlich häufiger sind technische Defekte oder menschliche Fehler, die zum Beispiel bei Wartungsarbeiten vorkommen können. Insgesamt hat der BWE gerade einmal 113 "gravierende" Schäden an Windkraftanlagen gezählt. Eine einheitliche Erfassung solcher Schäden gibt es jedoch bisher nicht.

Der TÜV-Verband, die Dachorganisation der weltweit tätigen Gruppe von Prüf- und Zertifizierungsunternehmen, bemängelt das. Geschäftsführer Joachim Bühler geht von deutlich höheren Schadenzahlen aus: "Wir schätzen, dass deutschlandweit pro Jahr etwa 50 Schäden an Windenergieanlagen auftreten, die ein potenzielles Sicherheitsrisiko für Menschen und Umwelt darstellen. Eine bundeseinheitliche Statistik würde über die Risiken besseren Aufschluss geben."

Marokko | Windkraftanlage Haouma Windfarm
Häufiger Schadensgrund: Fehler bei der WartungBild: Paul Langrock/Siemens AG

Haftpflichtschäden spielen eine untergeordnete Rolle

Einig sind sich TÜV und Bundesverband Windenergie darin, dass noch nie eine Person durch den Defekt einer Windkraftanlage zu Schaden gekommen ist. Und dass die Risiken heutzutage gut handhabbar sind. Dafür sprächen auch "die sehr geringen Haftpflicht-Versicherungskosten für Windenergieanlagen mit unteren dreistelligen Jahresbeiträgen", heißt es vom BWE.

Auch die Versicherer schätzen die Gefahr, dass durch einen Windraddefekt andere Personen geschädigt werden als der Betreiber als sehr gering ein. Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), bestätigt das: "Am teuersten ist - neben den Sachschäden an den Anlagen - die Betriebsunterbrechung", so Käfer-Rohrbach. "Die kostspieligsten Fälle ergeben sich durch Schäden an der Netzanbindung - beispielsweise, wenn der Notanker eines Schiffes die Landanbindung eines Offshore-Parks unterbricht."

Gefahr für die Stromversorgung?

Wenn ein ganzer Windpark plötzlich vom Netz geht, kann das durchaus Folgen für die regionale Stromversorgung haben. Insgesamt spielt aber auch dies kaum eine Rolle, weil die nationalen Netze miteinander verbunden sind und immer stärker miteinander vernetzt werden. Dadurch konnten bereits mehrfach Stromausfälle verhindert oder schnell behoben werden.

Als im Februar 2021 Eis und Schnee die Stromversorgung in weiten Teilen von Texas lahmlegten, lag das unter anderem daran, dass der Staat nicht mit dem restlichen US-Netz verbunden ist. Das kann in Europa kaum passieren.

Deutschland | Installation einer Windkraftanlage der Nähe von Wilhelmshafen
Neubau einer 6MW-Anlage bei Wilhelmshaven: Inzwischen haben auch die Versicherer Kosten und Kalkulationen im GriffBild: Ulrich Wirrwar/Siemens AG

Die Risiken sinken

Mittlerweile bieten die Hersteller immer ausgefeiltere Lösungen an, um Windkraftanlagen verschiedenen Umgebungen anzupassen. Das bedeutet nicht nur, dass auf See (offshore) eine andere Bauweise angewendet wird als an Land (onshore). Siemens Gamesa, General Electric und Weltmarktführer MHI-Vestas verkaufen Anlagen, die als "taifunsicher" zertifiziert sind. "Wir bieten auch spezifische Konfigurationen für extreme Temperaturen - hohe wie niedrige - an, für besonders hoch gelegene Windparks oder für Wüstenregionen, in denen es sehr staubig ist", teilte eine Unternehmenssprecherin des deutsch-spanischen Herstellers Siemens Gamesa der DW mit.

Die Erfahrung macht es aber auch für Versicherer einfacher, erklärt Anja Käfer-Rohrbach : "Zu Beginn hatten Versicherungsverträge für erneuerbare Energien oft eine 'Combined Ratio' von bis zu 300 Prozent, mittlerweile liegen sie meist unter 100 Prozent." Mit anderen Worten: Anfangs betrugen die Schadensummen oft das dreifache der Prämieneinnahmen. Dass sich Schäden und Versicherungsbeiträge nun meist decken, deutet darauf hin, dass Schadensfälle heute viel berechenbar sind.

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.